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Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Keneally
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Schwindsucht litt; einer ein begabter Musiker mit einer unheilbaren Nierenerkrankung. Ferner ein von einem Schlaganfall getroffener Blinder und ein Greis, der eine Darmoperation hinter,sich und jetzt einen künstlichen Magenausgang hatte. Dr. H., der zweite Arzt, meinte, man solle diesen Kranken wenigstens ersparen, erschossen zu werden.
    * Die Ärzte hier waren vorzüglich; als erste in Polen erforschten sie die Weilsche Krankheit und das Wolff-Parkinson-White-Syndrom. Im Moment ging es aber um anderes. H. besaß, wie andere Ärzte auch, Blausäure. Seit dem letzten Jahr gab es viele Fälle von Depression im Getto, und H. war ebenfalls davon befallen worden, obwohl jung und kerngesund. Doch die Zeit schien nicht nur aus den Fugen, sondern selber krank geworden zu sein, und im Besitz von Blausäure zu sein, war ihm in düsteren Stunden ein Trost.
    H. war an diesem Morgen schon vor fünf vom Geräusch haltender Lastwagen geweckt worden und hatte gesehen, daß jenseits der Gettomauer ein Sonderkommando zusammentrat.
    Da wußte er, daß Entscheidendes geschehen würde. Er eilte ins Hospital, wo Dr. B. und das Personal zu dem gleichen Schluß gelangt waren und alle Transportfähigen im Erdgeschoß sammelten, wo sie von Verwandten und Freunden abgeholt werden sollten. Als dies geschehen war, schickte Dr. B. auch das Personal weg, das gehorchte, ausgenommen die Oberschwester. Die beiden Ärzte und die Schwester saßen jetzt also bei den vier letzten Patienten. Die Frage war: Sollte man den Patienten die Blausäure geben oder sie erschießen lassen. Und die nächste Frage lautete: Soll man nicht auch selber das Gift nehmen?
    H. überlegte lange. Einerseits schien ihm der Gedanke verlockend, zumal er an drei Tagen hintereinander schwer deprimiert erwacht war, andererseits sprach seine religiöse Erziehung dagegen. Und daß er verheiratet war. Und für sich und seine Frau einen Fluchtweg ausgekundschaftet hatte: durch den Abwasserkanal aus dem Getto und weiter in die Wälder von Ojcow. Blausäure war der einfachere Weg.
    Als der Tag anbrach, berichtete die Oberschwester über das Befinden der Patienten; sie waren teils unruhig, teils schliefen sie. Dr. H. trat in die kalte Morgenluft auf den Balkon und rauchte eine Zigarette. Im vergangenen Jahr war er dabei, als die SS das Seuchenhospital in der Rekawkastraße räumte; man hatte die Patienten auch damals brutal behandelt. Aber niemand hatte daran gedacht, ihnen die Wohltat eines schmerzlosen Todes zu erweisen. Das war jetzt anders. Er hörte in der Ferne das durch Megaphone verstärkte Gebrüll: »Raus!
    Raus!«, hörte die ersten Feuerstöße, das Jammern derjenigen, deren Angehörige man erschossen hatte. Und wieder Gebrüll und Schüsse.
    Er ging zurück ins Krankenzimmer. Die vier Patienten starrten ihn erwartungsvoll an. Er seinerseits sah Dr. B. an und trat dann zu ihm. Es bedurfte weiter keiner Worte. Dr. B.entnahm dem Medikamentenschrank die Flasche und reichte sie der Schwester. » Geben sie jedem Patienten vierzig Tropfen ins Wasser.« Er hätte die Dosis selbst verabreichen können, doch das hätte die Patienten unnötig aufgeregt; Medikamente wurden von den Schwestern verabreicht, das wußte jeder.
    Sie ging mit den Wassergläsern von einem zum anderen und murmelte jedesmal: »Bitte trinken Sie das, es wird Ihnen guttun.« Sie wußte selbstverständlich, was für Tropfen sie da verabreichte, und Dr. H. fand, daß sie die wahre Heldin in diesem Drama sei.
    Es ging alles so rasch und schmerzlos vor sich, wie Dr. H. gehofft hatte. Er betrachtete die Verstorbenen mit dem Neid, mit dem alle Gettobewohner an die dachten, denen die Flucht gelungen war.
     
    Kapitel 21
    Poldek Pfefferberg wohnte in einem Haus aus dem vorigen Jahrhundert am Ende der Jozefinskastraße. Man sah von dort über die Mauer auf die Weichsel, wo lebhafter Verkehr von Frachtkähnen herrschte; dazwischen hin und wieder ein Patrouillenboot der SS.
    Pfefferberg erwartete hier mit seiner Frau Mila das Eintreffen des Sonderkommandos. Mila war eine schmächtige junge Frau von zweiundzwanzig Jahren, aus Lodz geflohen, die er in den ersten Tagen im Getto geheiratet hatte. Ihr Vater war Chirurg gewesen und schon verstorben, ihre Mutter Dermatologin. Die war im Vorjahr bei einer Aktion im Getto von Tarnow erschossen worden, inmitten ihrer Patienten.
    Mila hatte eine schöne Jugend verlebt, obgleich sie in dem sehr antisemitischen Lodz aufwuchs, und 1938 mit dem Medizinstudium begonnen. Als die Juden von

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