Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
Funktionäre ihr Fett ab.
»Affenbande, selbstverliebte!« - »Eingebildete Nichtskönner!« Und was er ihnen
am allerwenigsten verzeihen kann: »Sie kriegen von der Oswag einen Haufen Geld
und verschwenden es für ihre eigenen Gedichtausgaben! Die russische
Intelligenzija, wie sie leibt und lebt!«
    Wir kamen
am Maschonkin-Theater vorbei. Da sind jetzt überall Cafés, Restaurants,
Kabaretts, da ist Licht, Musik, Leute singen, tanzen und lachen! Ach, was hatte
ich auf einmal für Lust zu tanzen! All diese Gespräche einfach abzuschütteln!
Ich zog ihn am Arm: »Lass uns reingehen, Paschenka, bitte!« Und was war die Antwort?
»Ich lese gerade die Geschichte der Kreuzzüge. Da gibt es verblüffende
Parallelen! Dieses Gemisch aus Idealismus und animalischem Egoismus, dort wie
hier. An der Front opfert sich eine Anzahl dämlicher Heißsporne, während die
Klügeren sich drücken und ins Hinterland abtauchen, wo sie ihre Orgien feiern.
Gelage zu Zeiten der Pest!«
    Den ganzen
Abend hatte ich Geduld bewiesen, aber nun explodierte ich. Packte ihn bei den
Ohren, brüllte ihm ins Gesicht: »Pawel, komm zu dir! Wir sind hier nicht im
Buch! Das ist das Leben! Hier und jetzt!« - »Lass mich los, du tust mir weh!
Ich muss morgen zeitig los. Bin sehr müde und möchte ins Bett.« Da drehte ich
mich um und ließ ihn stehen. Ich kann so nicht mehr! Er kam hinter mir
hergetrottet wie ein Hündchen an der Leine. »Hau ab!«, sagte ich, »lass mich in
Ruhe! Ich kann dich nicht mehr sehen!« Er aber blieb mir auf den Fersen. So
gelangten wir bis zur Nikitinskaja. Plötzlich kam ich mir schäbig vor. Ich kann
ihn doch morgen nicht so losfahren lassen, dachte ich. Wenn ihm nun etwas
zustößt? Ich lief hin und umarmte ihn.
    Beim
Abschied die überraschende Frage: »Wirst du auf mich warten?« Warum
fragt er mich das? Hat er Angst, dass ich die Geduld verliere und ihn verlasse?
    Nein. Ich
werde warten. Und wenn er wiederkommt, sage ich ihm alles.
     
    4. August
1919. Sonntag
    Heute war
unser erster Auftritt im Soleil. Nach dem Film hob sich die Leinwand. Noch
während ich die Bühne betrat, wurde mir klar: Ich habe das falsche Kleid an.
Ein dunkles wäre das Rechte gewesen, schwarz oder bordeaux. Man wird kräftig
angestrahlt, sieht nichts, ist geblendet - das gab es während der Proben nicht!
Mit einem Mal war ich ganz außer mir, wusste nicht, wie mich bewegen in diesem
Licht, wohin mit den Händen. Und ich spürte geradezu, wie mir von der Hektik
rote Flecke ins Gesicht traten! Ich kann von Glück reden, dass ich in dem
Moment nicht von der Bühne fiel. Man braucht ein einzelnes Gesicht im Saal, das
man ansingen kann, hier war alles nur ein schwarzes Loch. Mir schnürte es den
Hals zu, ich forcierte. Bloß gut, dass ich nur drei Romanzen zu singen hatte.
Schon eine vierte wäre über meine Kräfte gegangen. Während der Balalaikaspieler
dran war, machte ich zur Beruhigung Atemübungen, wie die Kolzowa-Seljanskaja
sie mir beigebracht hat: drei Mal kurz und schnell ein und ein Mal lang und
tief aus. Dabei im Kopf mitzählen. Auch Rogatschow, die gute Seele, sprang mir
bei: kam und flüsterte, ich hätte großartig gesungen! Dann war unser
»Verliebter Don Juan« dran. Ich hatte mich schon ein bisschen beruhigt. »Du
musst mich anschauen«, hatte Torschin mir eingeschärft. »Halte dich mit den
Augen an mir fest. Dann wird alles gut!« Und so geschah es. Das Publikum
kugelte sich vor Lachen. Torschin ist ein komisches Genie!
    Dann ging
die Leinwand wieder runter, und das Publikum wechselte. Jedes Mal ein voller
Saal! Während wir auf den nächsten Auftritt warten, schauen wir den Film von
hinter der Leinwand, sozusagen »von links«. Selbst die Untertitel lernte ich
verkehrt herum zu lesen. Dabei zog ich immer die Schuhe aus - mein einziges
bühnentaugliches Paar, mit hohen Absätzen -, um die Füße zu schonen. Die
nächsten Male lief alles glatt. Am Ende war ich allerdings todmüde. Bin einfach
nichts gewöhnt! Eigentlich wollten wir, mit dem verdienten Geld in der Hand,
noch einen draufmachen, aber dazu hatte ich keine Kraft mehr.
    Und nun
kann ich vor Müdigkeit nicht einschlafen. Vollkommen überreizt. Wenn ich die
Augen schließe, stehe ich wieder auf der Bühne, der Beifall prasselt auf mich
ein. Und ich verbeuge mich ins Kissen!
     
    5. August
1919. Montag
    Ich muss
dieses ganze Grauen hier festhalten.
    Tala ist
zurück und wohnt erst mal bei uns. Sie sieht zum Fürchten aus. Und Läuse hatte
sie auch. Mama und ich haben sie als

Weitere Kostenlose Bücher