Schischkin, Michail
das
Pünktchen.
Mama hat
erzählt, dass sie, als sie mit mir schwanger ging, schrecklichen Heißhunger auf
Hering und Weintrauben hatte. Ich hingegen laufe durch die Straßen von Paris
und atme wie eine Verrückte Autogase ein. Etwas, das ich früher nicht ertragen
konnte. Jetzt bleibe ich bei jeder Taxisäule stehen und schnüffele. Dieser
Benzingeruch - einfach köstlich!
Die
jüdischen Väter seien die besten auf der Welt, heißt es. Wie tapfer und
geduldig er doch ist, mein Iossif, und wie fürsorglich!
Was bin
ich froh, dass diese schauderhafte Phase fortwährender Übelkeit noch vor der
Abreise nach Paris ihr Ende hatte. Immerzu war mir schlecht, selbst wenn der
Magen leer und ich gerade erst aufgewacht war. Ossik flößte mir teelöffelweise
süßen, starken, kalten Tee ein. Und seltsam: Das half! Aber nach dem Frühstück
half dann gar nichts mehr. Es war so widerwärtig, so erniedrigend, vor der von
Iossif bereitgestellten Schüssel Platz zu nehmen wie zu einer fälligen Buße! Es
würgte mich noch, wenn da schon gar nichts mehr war. Und hinterher, vollkommen
entleert, musste ich lange liegen, um wieder zu Kräften zu kommen.
Iossif
ging mit zum Arzt, notierte sich die Weisungen und verlangte von mir, dass ich
sie alle befolgte. Da merkte ich, dass der Spitzname Ossik* [Ossik
(russ.) Eselchen (Anm. d. Ü.)] gar nicht zu ihm passt, er sollte,
so wie er sich um mich kümmert, lieber Bienchen heißen. Eben wollte ich das
Datum hinschreiben und merke, dass ich hier aus jeder Zeitrechnung
herausgerutscht bin. Besser gesagt: Die Zeit wird nun anders gemessen. Ich
weiß, dass ich in der achtzehnten Woche bin, alles Übrige erscheint
nebensächlich.
Ich habe
ein Maßband gekauft und messe jeden Morgen nach, wie mein Bauchumfang
zugenommen hat. Viel sieht man noch nicht. Nur an den auf Taille genähten Kleidern
lässt es sich schon feststellen.
Ossik geht
auf Arbeit, sodass ich jetzt oft den ganzen Tag mir selbst überlassen bin. Ich
trinke Tee und laufe los, unternehme Streifzüge durch Paris.
Die ersten
Tage war ich nicht imstande, leidenschaftslos an den Schaufenstern
vorbeizulaufen. Schon auf dem Weg hierher, in Berlin, hatte ich mich wie
Aschenbrödel gefühlt: alles an mir, dieser Rock, diese Schuhe - einfach
grauenvoll. Und erst hier, wo nicht
nur die
Museen wahre Paläste sind, auch die Geschäfte. Gleich am ersten Tag wagte ich
mich in eines hinein und erstarrte zur Salzsäule. Schon von außen ist alles
verglast und vernickelt - und geht man durch die große Drehtür, ist es innen
genauso: Glas, Metall, Edelhölzer. Und all die glänzenden, bunten, hübschen Dinge!
Welch eine Lust, durch die endlose Flucht von Verkaufsräumen zu flanieren! All
die wogende Seide zu berühren, darüberzustreichen - dieses Knistern, dieses
Glitzern, dieses Fließen! Vor allem Unterwäsche wollte ich sofort kaufen:
hauchdünn, elegant, spitzendurchbrochen. Gleich im Laden zog ich sie an,
entledigte mich der schrecklichen Strümpfe, auch Unterrock und Unterhose warf
ich weg, dieses ganze grobe Zeugs - mit einer Grimasse des Abscheus, die ich im
Spiegel bemerkte, da musste ich über mich selber lachen. Plötzlich ging es mir
gut! Wie wichtig ist es doch für eine Frau, sich gut angezogen zu fühlen. Und
welche Freude erst, die leuchtenden Kartons und Pakete nach Hause tragen zu
dürfen!
Ossik hat
mir einen Stadtführer gekauft, ich habe ihn immer dabei, doch am liebsten laufe
ich aufs Geratewohl, Schaufenster und Menschen begucken. Heute landete ich in
einer Straße mit entzückendem Namen: Cherche-Midi. Den Mittag suchen - eine
wunderbare Redensart! Wir hatten sie schon seinerzeit am Gymnasium mit unserer
lieben Marija Iossifowna gelernt, und siehe da: Es gibt eine Straße, die so
heißt.
Paris bei
Sonnenschein macht großen Spaß. Keine Stadt, sondern ein einziges fröhliches
Markttreiben: Obst, Gemüse, Blumen, alles wird auf der Straße verkauft. Und
überall die fluffigen, knackigen Baguettes und Croissants! Ich kann nicht
anders, ich muss sie kaufen. Habe ständig Hunger. Creperien auf Schritt und
Tritt. Ein Leben wie im Schlaraffenland! Ich ging ins nächstbeste Café, um zu
verschnaufen, schlug den Stadtführer auf: Aha, ich sitze im berühmten Procope!
Einmal im
Lafayette schaute ich zufällig aus dem Fenster und hatte den Eindruck, vor
einem Gemälde zu stehen. Eine Stadt wie von Impressionisten gemalt! Mit
Vorliebe schlendere ich durch die Gassen, in denen Straßenkünstler ihre Werke
präsentieren. Sie
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