Schischkin, Michail

teurem Stoff bezogen seien, Tissu Rodier, da bekam man doch gleich Lust,
Kaffeesatz auszuschütten über den Möbeln und über der Frau. Sie wohnt direkt
über uns und lädt uns dann und wann zum Kaffee ein. Das kann man schlecht
ausschlagen. Und ständig ist von den schrecklichen Russen die Rede, denen ihr
seliger Gatte so viel Geld geliehen habe, indem er einen Haufen Zaren-Obligationen
erwarb, und nun wollten sie die nicht auszahlen... Du machst die erstaunliche
Erfahrung, dass man mit Landsleuten nach Herzenslust auf Russland schimpfen
kann, sobald aber Fremde darüber herziehen, nimmt man es unwillkürlich in
Schutz.
    Doch
ansonsten ist sie nett. Liest immerzu in der Bibel, besucht irgendeinen
Bibelkreis, will, dass ich mitkomme. Witzigerweise geht sie davon aus, dass
alle Propheten ihre Verkündigungen auf Französisch machten.
     
    War im
Wachsfigurenkabinett. Ärgere mich immer noch! Ich bin so geruchsempfindlich
geworden. Dort ist die Luft zum Schneiden, nicht zum Atmen. Und man kommt
nicht so einfach wieder raus. Schade um das viele Eintrittsgeld!
    Ich
wandelte dort herum und wusste nie, was ich vor mir hatte, Mensch oder
Wachsfigur. Wozu soll das gut sein? Leben vorzutäuschen? Auferstehung in Wachs
- eine tolle Erfindung! Konnten die Engelsposaunen wohl nicht erwarten und
bauten sich ein prächtiges Leichenschauhaus.
    Das hatte
ich schnell über und ging. Das unangenehme Gefühl aber blieb. Ich ging in die
Notre-Dame, um den Eindruck loszuwerden. Da sitze ich gern einmal im
Halbdunkel, betrachte die riesigen Fensterrosetten, den Dunst in den Gewölben,
stelle mir vor, wie Königin Margot hier ihren Heinrich ehelichte: sie allein
vor dem Altar, er draußen auf dem Vorplatz.
    Hätte ich
hier heiraten wollen? Hier zu singen kann ich mir jedenfalls gut vorstellen.
Die Akustik ist wunderbar.
    Die Kirche
im Rücken, stand ich noch lange am Ufer der Seine. Notre-Dame im
Sonnenuntergang warf einen Riesenschatten.
     
    Heute
fuhren wir zur Rue Daru, Ljubotschka und ich. Liefen durch die Geschäfte.
Ljubotschka kaufte lauter geschmackloses Zeug, und ich gab mir keine Mühe, sie
davon abzubringen.
    Sie behauptet,
übers Jahr kämen Röcke in Mode, die nicht mal bis zu den Knien reichen.
    Ljuba
plappert wirklich ununterbrochen. Man muss nicht mal unbedingt nicken, könnte
seinen Gedanken nachhängen, aber das klappt nicht so recht.
    Diesmal
erzählte sie von ihren Liebhabern - ganz ungeniert! Das finde ich abstoßend.
Zählt ihre Männer auf wie die Kleider zu Hause im Schrank.
    Straßenjungs
legten Nägel auf die Straßenbahngleise. Ich verstand erst nicht, wozu - bis
mir aufging, dass sie so Spielzeuge herstellten: Plattgedrückt sahen die Nägel
aus wie kleine Säbel. Für ihre Zinnsoldaten vielleicht? Ein gefährliches Spiel!
Ich hätte mir die Kerlchen am liebsten gegriffen und ihnen die Ohren lang
gezogen! Gut, dass ein Polizist auftauchte und sie vertrieb.
    Pünktchen,
solltest du als Junge geboren werden, denk dir ja nicht solch dummen,
gefährlichen Zeitvertreib aus!
    Mit Ossik
im Kino gewesen. Pat und Patachon gesehen.
     
    Heute sah
ich auf der Straße ein kleines Mädchen mit einem großen roten Fleck am Hals,
und natürlich fielen mir gleich wieder diese dämlichen Sprüche ein.
Unwillkürlich der Gedanke: Die Mutter muss sich erschrocken und an den Bauch
gefasst haben.
    Ständig
achte ich jetzt auf fremde Kinder, denke: Irgendwann wirst du, Pünktchen,
genauso spielen wie gestern die Kinder im Park; du und ich, wir werden genauso
ein langes Sprungseil an den Enden fassen und »Wellen machen«.
    Und
solltest du ein Mädchen werden, wirst du spielen wie die da unten vor dem
Fenster, denen ich seit einer halben Stunde zusehe: Sie haben Töpfe und Tassen
nach draußen geschleppt und kochen Suppe aus Zweigen und Kräutern, füttern ihre
Flickenpüppchen mit Brei aus Sand, ziehen sie aus und an, wiegen sie in den
Schlaf, geben ihnen einen Klaps auf den Po, stellen sie in die Ecke und
schimpfen sie aus.

Ich habe
Ossik gefragt, wie er sich unser Kind vorstellt. Was er mit ihm anstellen wird.
»Ich stelle mir vor, wie ich ihm das Lesen beibringe«, antwortete er. »Ich
zeige ihm, wie man die Buchstaben schreibt. Die Wörter MAMA und PAPA klappen
schon ganz gut, aber den Buchstaben K schreibt es spiegelverkehrt.« Ach. Pünktchen,
wie ich deinen Papa liebe!
     
    Ein
ziemlich grässlicher Tag. Nieselregen seit dem Morgen. Ich war nur kurz
draußen, sofort nass bis auf die Haut. Und dieser Dreck überall! Man