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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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Cafés chantants und Varietes. Die Götter
von Paris, wir haben sie mehr als einmal gesehen: die Mistinguett, Chevalier
und nun auch Josephine Baker. Hier singt man nicht unbedingt besser als bei
uns, nur vollkommen anders. Leicht und frei. Bei uns wird aus jedem Lied ein
Drama gemacht, eine Opernarie.
    Gestern
waren wir also im Casino de Paris bei Josephine Baker. Sieht aus wie ein
Meerkätzchen und hat Talent wie der Teufel.
    Im Moulin
Rouge gefiel es mir auch sehr. Wo bin ich gewesen, als der liebe Gott solche
Beine verteilte?
    Aber ich
frage mich: Wie sollte ich hier singen? Man kommt ins Nachdenken über das, was
man die »russische Seele« nennt. Und alles doch nur, weil man nicht so über die
Bühne hüpfen kann wie Josephine!
    Für die
»russische Seele« gibt es hier spezielle Russenkneipen. Ich war mit Iossif in
einer, am Montmarte. Kein schönes Erlebnis. Hier wird das Russische von Russen
auf die billigste Art verhökert: Kauft Leute, kauft, und sei's für einen
Fünfer! Widerwärtig zu erleben, wie die Amerikaner sich hier vergnügen: mit den
Zigeunern mitgrölen, herumhampeln, besoffen Kasatschok tanzen. Und nach dem
bestellten Loblied auf sich zerschmeißen sie ihre Gläser - wohl in der
Annahme, dass die »russische Seele« sich so äußert. All dies hat etwas sehr
Erniedrigendes an sich.
    Dann wurde
das Licht gelöscht, im Finsteren ein Flambierfeuer entzündet, und eine skurrile
Prozession in Fantasieuniformen á la russe schloss sich an: Feierlich wurden
die Schaschlykspieße hereingetragen.
    Allein der
Gedanke, an so einem Ort auftreten zu müssen, macht mich schaudern.
    Aber wie
sehr ich die Bühne vermisse, mein Gott!
    Erst
einmal wirst du zur Welt kommen, Pünktchen. Und wenn du erst ein bisschen
größer bist, fahren wir nach Hause, und du lässt mich wieder singen.
    Beim
Schreiben dieser Zeilen ist die Sehnsucht auf einmal übergroß: Ich möchte
zurück, nach Moskau!
    Nach Hause
fuhren wir gestern Nacht mit dem Taxi. Der Chauffeur war Russe, aus Tula. Es
gebe in Paris dreitausend russische Taxifahrer, behauptete er.
    Ach ja, am
beeindruckendsten fand ich im Casino de Paris den Jongleur mit dem Tablett in
der Hand, darauf vierzig Gläser und vierzig Löffel, die daneben lagen. Hopp! -
und die vierzig Löffel steckten in den vierzig Gläsern. Einfach nur - hopp!
     
    Noch
einmal im Louvre gewesen.
    Vielleicht
bin ich mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden, oder die Stimmung war nicht
so günstig für Verzückungsanfälle. Jedenfalls langweilte ich mich recht bald.
    Beim
Anblick der Aphrodite fiel mir mein Entsetzen ein, als ich - damals noch
Schülerin - las, welchem Schaum sie in Wirklichkeit entstammte. Das musste man
sich vorstellen: der Sohn dem Vater mit der Sichel... das Organ!
    Ziellos
lief ich durch die Säle und spürte plötzlich Verdruss. So viele Bilder zum
immer gleichen Thema: Unbefleckte Empfängnis! Was reizte sie daran so? Worin
hätte denn die Befleckung bestanden, und was war daran schlecht?
    Von einer
Jungfrau und dem Heiligen Geist gezeugt und geboren zu werden ist kein größeres
Wunder als von einer gewöhnlichen Frau und einem gewöhnlichen Mann. Pünktchen -
du bist das Wunder!
     
    Endlich
ein Brief von Mama. Die alte Leier: nichts als Klagen.
    Zuletzt
sahen wir uns voriges Jahr, als ich ein paarmal in Rostow auftrat. Ich war aus
Moskau geflohen, um genau zu sein - nach allem, was sich ereignet hatte, war
dort kein Bleiben gewesen.
    Mama und
Papa kamen mir irgendwie altmodisch und provinziell vor. Und mit ihnen die
ganze Stadt. Oder lag es nur daran, dass die Jahre in Moskau und Piter mich so
gezaust hatten, durcheinandergebracht und davongetragen?
    Mama ist
ziemlich alt geworden. Sie färbt sonst ihre Haare immer mit Henna; diesmal
hatte sie es länger nicht getan, und man sah an den Wurzeln, dass sie
vollkommen ergraut ist. So hatte ich sie noch nie gesehen.
    Papa war
munter wie immer, doch nun schreibt Mama, er sei ernsthaft erkrankt. Was er in
seinem letzten Brief mit keiner Silbe andeutete. So ist er nun mal!
    Den ganzen
Tag über war ich mit den Gedanken bei ihnen. Wie habe ich es als kleines Kind genossen,
wenn Vater mit mir tollte, das Raubtier mimte, das mich beißen wollte - seine
Bartstoppeln kitzelten mir Hals und Wangen...
    Ach, Papa!
Ich liebe dich sehr! Und dass ich dich, der du zeit deines Lebens Kirche und
Popen verlachtest, damals in der Allerheiligenkirche abseits von allen, in der
schummrigen Vorhalle heimlich beten sah, werde ich dir nie

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