Schischkin, Michail
die Njanja.
Einmal nehme ich, ohne zu fragen, Papas Klappmesser zur Hand - und schon
sprudelt das Blut aus dem Finger. Die Njanja flitzt in den Schuppen und sammelt
Spinnweben aus den Ecken, legt sie auf die Wunde und bindet einen Lappen darum.
Papa hält das für einen bösen Aberglauben. Wütend brüllt er die Njanja an, als
er davon erfährt. Er möchte die Wunde mit Jod versorgen, das lasse ich aber
nicht zu und heule so lange, bis er die Njanja um Verzeihung bittet. Die sitzt
eine Weile und schmollt, dann schlägt sie, unter Tränen, ein Kreuz über ihm,
und Friede kehrt ein, wenn auch nicht für lange.
Als Papa
Ostern aus der Kirche nach Hause kommt, empört er sich, dass alle, so auch ich,
vom selben Löffel die heiligen Sakramente empfangen haben. Der beste Weg, um
krank zu werden! Die Njanja protestiert: Das Kind sei doch getauft!
Ich weiß
noch, wie er einmal erzählte, dass er als Kind Flöte gespielt habe, und einmal
habe der Lehrer ihm sein Instrument aus der Hand genommen, etwas darauf
vorgespielt und es ihm wiedergegeben, danach musste Papa sich die Flöte an den
Mund setzen, das brachte er nicht über sich und habe das Spielen bald ganz sein
lassen.
Dann: die
Wasserweihe. Die Njanja ist von der Heilkraft geweihten Wassers überzeugt; je
früher am Tag man es schöpfe, desto wirksamer sei es. Massen drängen sich um
das Eisloch, schieben einander beiseite: Hausfrauen ebenso wie Fabrikarbeiter,
viel alte Leute. Jemand bekommt an Ort und Stelle die wehen Augen ausgewaschen;
eine Frau flößt einem kranken Kind Wasser ein, in dem Eisbrocken schwimmen.
Ich habe Angst vor der kopflosen Menge, fürchte erdrückt zu werden, fange an zu
heulen. Die Njanja, hochrot im Gesicht und zerzaust, nimmt mich auf die Arme
und nötigt mich zu einem Schluck direkt aus der Flasche. Es zieht mir die
Wangen zusammen. Dann gehen wir nach Hause. Die Njanja trinkt ein paar
Schlückchen, mit dem Rest besprengt sie das Haus - das bewahrt uns vor Unglück
und vorm bösen Blick, so weiß sie. Beim Zubettgehen erzählt sie mir, in der
Nacht vor der Weihe bade Jesus Christus leibhaftig in dem Wasser, welches
hierdurch sanft in Bewegung gerate; gehe man um Mitternacht zum Eisloch und
warte ein wenig, könne man eine Welle sehen - dann sei Jesus Christus ins
Wasser getaucht.
Darüber
kann Papa, der unversehens in der Tür steht und zuhört, nur lachen. Wie kann
ein Wasser für den Menschen gesund sein, in dem räudige Ferkel gebadet werden?,
fragt er.
Kaum denke
ich an Papa, spüre ich einen Zitronengeschmack auf der Zunge - er trank immer
frisch gepressten Zitronensaft und ließ auch die Kinder welchen trinken. Nach
dem Mittagessen im sonnigen Esszimmer treten wir nacheinander vor ihn hin und
bekommen ein Schnapsgläschen voll verabreicht. Die Sonnenstrahlen brechen sich
im Schliff des Gläschens und tanzen durch das Zimmer, über Decke und Wände.
Ich weiß,
dass ich Papas Liebling bin. Manchmal nimmt er mich irgendwohin mit, ohne die
Schwestern. Zum Beispiel zu einem seiner Bekannten - da gibt es ein Boot auf
Rädern, aber mit echten Rudern dran. Ich rudere damit über den breiten
Korridor.
Papa ist
ein stadtbekannter Fachmann für Hautkrankheiten, er arbeitet im städtischen
Krankenhaus, hält aber auch zu Hause Sprechstunden ab, vor allem für Angehörige
der guten Gesellschaft, die die Öffentlichkeit in solch heiklen Angelegenheiten
scheuen. Einmal komme ich, unbeaufsichtigt gelassen, auf die Idee, in seinem
Schrank nach Bilderbüchern zu suchen; kurze Zeit später entdeckt man mich auf
dem Parkett sitzend in Betrachtung farbiger Darstellungen männlicher
Geschlechtsorgane mit allen möglichen, kräftig kolorierten Geschwüren. Danach
schaue ich eine Zeit lang mit heimlichem Ekel auf jeden vorübergehenden Mann,
der doch anscheinend dort unten so gräuliche Wunden mit sich herumträgt. Das
Grausen verstärkt sich, wenn ich an Papa oder meinen Bruder Sascha denke.
Unvorstellbar, dass ihnen solch grässliche Geschwulst zwischen den Beinen
wächst!
Von nun an
hat Papa immer ein paar unschuldige Bilderbücher bereitliegen. Zum Beispiel hat
er das komplette Programm des Moskauer Verlags I. Knebel abonniert; als ich
später zum ersten Mal in die Tretjakow-Galerie komme, habe ich das Gefühl, in
meine Kindheit einzutauchen.
Papa
interessiert sich für Geschichte, bezieht entsprechende Fachzeitschriften und
fährt einmal im Sommer mit uns Kindern zur Ausgrabung einer altgriechischen
Siedlung. Das alte Griechenland, so zeigt
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