Schischkin, Michail
zum Riechen hat. Ich bin mir
gewiss, dass der liebe Gott hier in der Kirche wohnt, und die Njanja bestärkt
mich in diesem Glauben - wo es doch draußen gerade so bitterkalt ist, jeder hat
sein Zuhause, und die Kirche ist das Haus, wo Er sich aufwärmen kann.
Für die
Zeit von Weihnachten bis zum Dreikönigsfest malt sie an alle Türen und
sonstigen Gegenstände mit Kreide ein weißes Kreuz gegen das Unreine. Dann wird
alles mit geweihtem Flusswasser besprengt, wonach kein Teufelszeug einem mehr
etwas anhaben kann - denn nach Weihnachten ist der liebe Gott hocherfreut,
dass ihm ein Sohn geboren ward, schließt alle Türen auf und schickt die Teufel
in die Wüste.
In der
Welt der Njanja sind Teufel oder Engel nicht weniger real als Strümpfe und
Gummischuhe. Und gleich ihr hege auch ich keinen Zweifel, dass dem Menschen von
Geburt an ein Teufel und ein Engel zur Seite stehen, die dich keine Minute aus
den Augen lassen; der Engel steht rechts von dir, der Teufel links - deswegen
darf man nie nach rechts ausspucken, und zum Schlafen muss man sich auf die
rechte Seite legen, das Gesicht dem Engel zugewandt, damit man nichts
Schlechtes träumt. Der Engel notiert sich alle deine guten Taten, der Teufel
die bösen, und wenn ein Mensch stirbt, dann wird der Engel mit dem Teufel
streiten, wem die sündige Seele zufallen soll. Klingt dir das linke Ohr, dann
weißt du: Das kleine Teufelchen ist eben beim Satan gewesen, die Sünden
abladen, die du im Laufe des Tages schon begangen hast, und nun ist es zurück
auf seinem Posten und wartet auf die nächste günstige Gelegenheit, dich zu
verführen. Bei Gewitter sucht der Teufel sich vor den Blitzpfeilen hinter dem
Menschen zu verstecken. Und dann kann es passieren, dass der Prophet Elias in
seinem Kampf mit den bösen Mächten auch einmal einen Unschuldigen tötet. Darum
sollte man immer, wenn es blitzt, ein Kreuz schlagen.
Vor dem
Einschlafen stelle ich mir vor, wie mein Schutzengel ausschaut. Bestimmt sind
seine Flügel weiß wie Schnee, weich und duftig wie der Quast, mit dem Mama sich
pudert.
Auf dem
Weg irgendwohin sehen wir, wie Straßenjungen Steine in einen Busch werfen. Die
Njanja ist aufgebracht, so geht das nicht, schnaubt sie, es sind überall Engel
in der Luft, die so ein Stein treffen kann. Im Gebüsch sehen wir im Vorbeigehen
etwas zappeln. Die Jungs warten mit den Steinen in der Hand, dass wir
verschwinden. Ich erkenne in den Büschen einen Vogel, eine Taube mit
gebrochenem Flügel. Wir nehmen sie mit. Bis zum Abend wohnt sie bei uns in der
Küche, am anderen Tag ist sie weg. Gesund geworden und fortgeflogen, sagt die
Njanja zu mir. Ich glaube ihr nicht, halte aber den Mund. Vor dem Einschlafen
stelle ich mir vor, wie ich meinen Schutzengel pflege, falls er einmal mit
gebrochenem Flügel auftaucht.
Irgendwo
unter den Dielen wohnt der Hausgeist, ein unsichtbarer Mieter, der alles
Lebende behütet. Den Hausgeist zu sehen ist dem Menschen nicht gegeben, aber
hören kann man ihn und sogar berühren, besser gesagt: seine Berührung spüren.
Wenn er spricht, klingt das wie rauschende Blätter, und nachts streichelt er
die Schlafenden mit samtweicher Pfote.
Die Njanja
lehrt mich, wie man betet, in ihrer Andachtsecke hat sie viele Ikonen, von
denen die Dreihändige Gottesmutter mir die liebste ist. Immer wieder lasse ich
mir von ihr erzählen. Als Herodes das Christkind umbringen wollte und die
Gottesmutter darum mit ihm nach Ägypten floh, waren zwischendurch einmal Räuber
hinter ihr her. Mit dem Kind auf den Armen rannte sie und rannte, da war auf
einmal ein Fluss im Weg. Sie warf sich ins Wasser, um ans andere Ufer zu
schwimmen und den Verfolgern zu entrinnen. Doch wie hätte sie schwimmen sollen,
mit dem Kind auf dem Arm? Einhändig kraulen? Also betete die Gottesmutter zu
ihrem Sohn: Mein geliebter Sohn, gib mir eine dritte Hand, sonst bin ich zu
schwimmen außerstande. Das Kind erhörte die flehentliche Bitte, und der Mutter
wuchs eine dritte Hand! Mit ihr schwamm es sich gut, und als sie am anderen
Ufer aus den Fluten stieg, war sie gerettet.
Mir graut
vor dem Jüngsten Gericht, ich weiß sogar schon, wann es geschehen wird: am
Sonntag vor der Butterwoche. Eines kalten Winterabends, als vor dem Fenster ein
glutroter Sonnenuntergang aufzieht, denke ich, es ist so weit - laufe in die
Küche und gebe der Njanja die Karamellen und Kringel zurück, die ich stibitzt
und versteckt habe.
Das Blut
bei Schnittwunden zu stillen, helfen Spinnweben am besten, so meint
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