Schismatrix
mir!«
»Wenn ich sehe, was Constantine der Clique angetan hat ...«
»Das ist doch nicht deine Schuld! Gerechter Himmel, gibt es nicht schon Katastrophen genug, mußt du sie dir auch noch allesamt auf die Schultern laden? Goldreich-Tremaine ist erledigt! Wir müssen jetzt leben! Ich hab dir schon vor Jahren gesagt, das kann nicht dauern, und jetzt ist es eben zu Ende und vorbei!« Er breitete heftig die Arme weit aus. Der linke Arm fiel schlaff herab, von der hohen Schwerkraft bewegt; der andere Arm surrte glatt und präzise seinen künstlichen Kraftbogen. Hundertmal hatten sie darüber schon diskutiert, und Nora begriff, daß Lindsays Nerven brüchig waren. Dank der Behandlung war seine mühsam anerzogene Geduld in einem Aufflammen einer Pseudojugend verbrannt. Er schrie sie jetzt an. »Du bist aber nicht Gott! Du bist nicht die Geschichte! Du bist nicht der Ring Council! Gib dich da mal keinen eitlen Illusionen hin! Du bist jetzt ein Nichts, ein Zielobjekt, zum Abschuß freigegeben, ein Sündenbock! Lauf, Nora, flieh! Werde eine Sundog!«
»Der Mavrides-Clan braucht mich«, sagte sie. »Sie stehen sich besser ohne dich. Jetzt bist du für sie deine peinliche Last, wir beide sind das ...«
»Und die Kinder?«
Er schwieg eine Weile. Dann: »Es tut mir leid um sie, es schmerzt mich mehr, als ich sagen kann, aber sie sind jetzt erwachsen und können durchaus ihr eigenes Lebensrisiko auf sich nehmen. Nicht sie sind hier das Problem, wir sind es! Wenn wir es dem Feind leichtmachen, einfach uns davonschleichen, uns in Luft auflösen, dann werden sie uns vergessen. Und wir können unsere Zeit abwarten.«
»Und lassen dabei zu, daß diese Faschisten überall sich frech breitmachen? Diese Mörderbanden? Die organisierten Terrorkiller? Wie lange würde es dauern, bis der Gürtel wieder von ShaperAgenten wimmelt und in sämtlichen Winkeln wieder die Guerillas aufflammen?«
»Und wer soll das verhindern? Du?«
»Wie wäre es, wenn du es tätest, Abélard? Verkleidet als ein stinkiger Mechanist mit geklauten Shaper-Daten da in deiner Tasche! Denkst du eigentlich niemals an andere Menschen? Bloß an dein eignes Leben? Warum, in Gottes Namen, stehst du denn nicht für die Hilflosen und Unterdrückten ein, anstatt sie zu betrügen und zu verraten? Glaubst du etwa, es wird für mich ohne dich leichter werden? Natürlich werde ich weiterkämpfen, aber ohne dich fehlt mir das Wichtigste, das Herz, dazu.«
Er stöhnte. »Hör mich an! Ich war ein Sundog, ehe ich dir begegnet bin, und du weißt doch genau, wie wenig ich hatte... Ich will diese Leere nicht wieder, daß keiner sich kümmert, keiner weiß ... und schon wieder einen Verrat auf meinem Gewissen ... Nora, wir hatten fast vierzig gemeinsame Jahre! Der Ort hier war angenehm für uns und gut, aber er geht ganz aus sich selbst heraus zugrunde! Es wird auch wieder gute Tage geben. Und wir haben massenhaft Zeit! Du hast mehr Leben haben wollen, und ich bin losgezogen und habe es für dich geholt. Aber jetzt verlangst du, ich soll das wegwerfen. Aber ich werde nicht zum Märtyrer, Nora. Für nichts und niemanden.«
»Immer hast du von der Sterblichkeit geredet«, sagte sie. »Auf einmal bist du anders.«
»Wenn ich verändert bin, dann deshalb, weil du es so gewollt hast.«
»So? Nein, so nicht! Keinen Verrat!«
»Aber wir werden umsonst sterben. Für ein Nichts.«
»Genau wie die anderen«, sagte sie und bereute es sofort. Und da baute sie sich wieder vor ihnen auf, diese alte unerbittliche gemeinsame Schuld, ihr Geheimnis. Diese anderen, für die Pflichterfüllung mehr bedeutet hatte als das Leben. Jene anderen, die sie beide im Stich gelassen hatten, jene, die sie auf dem ShaperAußenposten getötet hatten. Das war die schändliche Untat, die auszulöschen sie beide sich so abgemüht hatten, das Verbrechen, das sie beide aneinander gefesselt hielt. »Nun, ist es nicht das, was du von mir verlangst? Daß ich meine eigenen Leute erneut verrate ... für dich!«
Da. Sie hatte es ausgesprochen. Und das war nicht rückgängig zu machen. Gequält wartete sie auf die Worte von ihm, durch die sie von ihm befreit sein würde.
»Du warst für mich meine Familie, mein Volk, meine Leute«, sagte er. »Ich hätte es wissen müssen, daß mir so etwas nie für lange vergönnt ist. Ich bin ein Sundog, und das ist nun eben meine Art, nicht die deine. Ich hab gewußt, daß du nicht mitkommen würdest.« Er stützte den Kopf gegen die nackten Finger seiner Prothesenhand. Von dem
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