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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Maßstäbe.«
    Der Junge verlor die Geduld. »Wie groß bist du? Bist du mehr als eine träge leblose Masse?«
    »Aber es würde Jahrhunderte dauern ...«
    »Glaubst du, daß dieser Baum dort zögern würde? Und wieviel Zeit hast du denn überhaupt noch?«
    Lindsay lachte, unwillkürlich und hilflos, auf.
    »Siehste? Also gut. Willst du also ein kleines erbärmlich zusammengequetschtes Menschenleben haben, oder ziehst du es vor, in die nächste Potenz aufzusteigen?«
    »In meinem Alter«, sagte Lindsay, »in meinem Alter wäre ich längst tot, wenn ich menschlich wäre.«
    »Siehste, jetzt redest du vernünftig. Du bist so groß wie deine Träume. Das behaupten sie doch im C.-K., oder? Keine Gesetzesregeln, keine Beschränkungen. Nimm mal die Mechs und die Shapers.« Der Junge drückte Verachtung im Ton seiner Stimme aus. »Die haben jede nur denkbare Macht in der Welt, und sie hetzen im Ringelreihen hinter dem Schwanz des andern drein. Ins Höllenfeuer mit ihren Kriegen und ihren kleinen Scheißerideologien. Die Posthumanitätsentwicklung ist viel gewaltiger als sowas! Frag mal die Leute da drin.« Der Junge deutete beiläufig mit der Hand über den Maschendrahtzaun und auf das dahinter liegende Gebiet. »Ökosystem-Entwürfe. Geplanter Umbau von Leben, angepaßt an neue Bedingungen. Ein bißchen Biochemie, ein bißchen Physikostatistik, das kannst du überall mitkriegen, und da ist es nämlich, wo sich was Aufregendes tut. Wenn dieser Abélard Lindsay heute leben würde, dann würde der an sowas arbeiten.«
    Die Ironie des Ganzen reizte Lindsay schmerzhaft. Als er im Alter dieses Gomez-Jungen war, hatte auch er keine Spur von Vernunft besessen. Auf einmal überkam ihn Bestürzung und Furcht wegen dieses Jungen - und ein Drang, ihn vor dem Unheil zu bewahren, das er sich unweigerlich durch derartiges leeres Gewäsch zuziehen würde. »Glaubst du das wirklich?«
    »Sicher. Man hat uns gesagt, der war ein heißer Typ unter den Konservationisten, aber dann isser abgezischt, als die Sache richtig lief, und ist ein Sundog geworden, oder etwa nicht? Den haste nicht hier rumhocken sehen, bis er in hohen Jahren friedlich entschlafen ist. Außerdem, das schafft sowieso keiner.«
    »Nicht einmal hier? In der Hochburg des Konservationismus?«
    »Na, bestimmt nicht. Alle über vierzig hier hecheln auf dem Schwarzmarkt rum, um sich 'ne Lebensverlängerung zu besorgen. Und wenn sie dann auf die Sechzig zukriechen, verkrümeln sie sich in den Czarina-Kluster. Diese Zikader kümmern sich einen Dreck um deine Gene oder deine Vergangenheit. Die nehmen jede Art von Kladen auf ... Träume sind wichtiger.«
    Träume, dachte Lindsay. Träume von der Konservierung, der Bewahrung und Erhaltung - pervertiert zu einem SchwarzmarktGefeilsche um die Unsterblichkeit. Der Traum des InvestorFriedens, zu Rostflocken verrottet. Eine Niederlage. Der Traum vom Terraformen, diese eifrigen Geopoliturbemühungen, das besaß noch einen leidlich frischen Schimmer. Aber - Jung-Gomez konnte ja nicht wissen, daß auch das unweigerlich Patina ansetzen und stumpf werden würde.
    Aber irgendwie, dachte Lindsay, mußt du eben entweder träumen - oder krepieren. Und nun, da sozusagen ein neues Leben ihn durchströmte, wußte er auch genau, welche Wahl er zu treffen hatte.
    Margaret Juliano hing über den Zaun zu ihm herüber. »Abélard! He, du da drüben, Abélard! Das da mußt du dir mal unbedingt anschauen!«
    Der Junge begann bestürzt die Schnur seines Drachen Hand über Hand einzuholen. »Also, wenn das nicht echtes Schwein ist! Diese olle Psycho-Hexe will mir da was zeigen, mir, und in der Fak.«
    »Geh ruhig hin«, sagte Lindsay. »Und sag ihr, daß ich sie bitte, dir alles zu zeigen, was du sehen willst, klar? Und dann sag ihr bitte noch, daß ich einen kleinen Spaziergang machen und mich mit Pongpianskul unterhalten möchte. Soweit alles klar, Cousin?«
    Der Junge nickte. Bedächtig. »Dankeschön, alter Zikader. Doch, du bist schon einer von uns.«
     
    Das Büro Pongpianskuls war eine Wüstenei aus Papier. Zu seiten seines hölzernen Schreibtisches stapelten sich in Stoff gebundene Codizes des Concatenatischen Rechts; an der ehrwürdigen Wandtäfelung des Raums waren mit Pinstiften Pläne und Produktionsgraphiken, willkürlich durcheinander, angeheftet. In einem Winkel gähnte eine schildpattfarbene Katze und begann warnend die Krallen am Teppich zu schärfen. Lindsay, dessen felidologische Erfahrungen recht beschränkt waren, beobachtete das Tier mit

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