Schismatrix
gespielt. »Bist du von hier?«
»Genau. Mein Name ist Abélard. Abélard Gomez.«
»Abélard? Kein allzu häufiger Name.«
Der Junge lachte. »Vielleicht nicht in C.-K. Aber hier in der Republik heißt jeder fünfte Typ Abélard. Nach diesem Abélard Lindsay, das war so'n uralten Obermacker in der Vergangenheit. Du hast bestimmt von ihm gehört.« Der Junge zögerte. »Der hatte auch immer so Zeug an wie du. Ich hab nämlich Bilder von ihm gesehen.«
Lindsay betrachtete die Kleider, die der Junge trug. Gomez Junior hatte eine Raumkluftimitation an, die erbärmlich an ihm herumschlotterte. »Ich stelle fest, ich bin altmodisch«, sagte Lindsay. »Sie machen wohl ziemlich viel Wirbel mit diesem Lindsay-Typ, wie?«
»Das kannste dir nicht mal zur Hälfte im Traum ausdenken«, sagte Gomez. »Nimm bloß mal die Schule. Die Schule hier, also die ist absolut antiquiert. Da lassen die uns dem Lindsay sein Buch lesen. Heißt: Shakespeare - in modernes Englisch übertragen von Abélard Lindsay.«
»Und? Ist das nicht gut?« fragte Lindsay, von einem prickelnden Déjà-vu überwältigt.
»Mensch, Alter Mann, hast du ein Schwein! Du brauchst das nicht zu lesen. Ich hab den ganzen Mist durchgeackert... und da steht kein einziges Wort über spontane Auto-Organisation drin.«
Lindsay nickte. »Das allerdings ist ein Jammer.«
»Alle sind sie furchtbar alt in dem Buch. Nee, ich meine nicht so falsch-pseudo-alt wie hier die Konservationisten. Oder unheimlich-alt wie der alte Pong.«
»Meinst du Pongpianskul?« fragte Lindsay.
»Der Hüter, genau. Nein, was ich meine, ist: Alle werden da immer so schnell aufgebraucht. Zu schnell. Alle sind sie ausgebrannt und verkrampft und krank. Das ist doch echt deprimierend.«
Lindsay nickte. Die Entwicklung hatte einen Kreisbogen vollzogen und war an einen frühen Ausgangspunkt zurückgekehrt. Dachte er. »Es widerstrebt dir also die Kontrolle, die man über dein Leben ausübt«, sagte er nachdenklich. »Du und deine Freunde, ihr seid Radikale. Ihr wollt, daß sich die Dinge ändern.«
»Ach, nee, eigentlich nicht«, sagte der Junge. »Sie haben mich ja bloß sechzig Jahre lang in der Zange. - Aber ich hab Hunderte Jahre vor mir, Cousin. Ich meine, um große Dinge zu tun. Dazu werde ich 'ne Menge Zeit brauchen. Für große Dinge, meine ich, wirklich riesige Sachen. Nicht wie diese kleinen verknöchert-trocknen Leute in der Vergangenheit.«
»Was für Dinge?«
»Leben ausbreiten. Planeten zerlegen. Welten aufbauen. Terraformen.«
»Aha, ich verstehe«, sagte Lindsay. Es bestürzte ihn, in einem derart jungen Menschen eine derart starke Selbstsicherheit zu entdecken. Es kam wohl vom Einfluß der Kataklysmatiker. Die hatten schon immer eine starke Neigung zu wilden Hirngespinsten gepflegt, gigantischen Größenwahnsinnsträumen nachgejagt, die schließlich dann zu einem Nichts zerplatzten. »Und sowas wird dich und euch glücklich machen, meinst du?«
Der Junge blickte ihn argwöhnisch an. »Biste vielleicht einer von diesen Zen-Serotonidioten? Glücklich , ha! Was issen das für ein Schmäh? Ins Feuer mit dem Glücklichsein, Cousin. Hier meldet sich der Kosmos! Stehst du auf der Seite des Lebens, oder nicht?«
Lindsay lächelte. »Ist das politisch? Ich hab kein Vertrauen in Politik.«
»Politik? Mann, ich rede von Biologie! Von Dingen, die lebendig sind und wachsen. Von Organismen. Integrierten Formen.«
»Und wo findest du da einen Platz für die Menschen?«
Der Junge zuckte ärgerlich mit der Hand und fing den absackenden Drachen ab. »Ach, um die kümmere dich mal nicht so sehr. Wovon ich jetzt rede, das sind fundamentale Loyalitäten, tiefstwirksame Bindungen. Wie zu dem Baum da. Stehst du auf seiner Seite, gegen das Anorganische?«
Lindsay hatte seine jüngste Gottes-Epiphanie noch frisch im Gedächtnis. Die Frage des Jungen war ohne Falsch. »Ja, das tu ich«, sagte Lindsay.
»Also begreifst du doch auch, wie wichtig das Terraformen ist.«
»Terraformen - Erdgestaltung«, sagte Lindsay langsam. »Ich habe darüber Theorien gehört. Spekulationen. Ich vermute, es ist möglich. Aber was hat das mit uns zu schaffen?«
»Die echte tiefe Bindung an das Leben verlangt zwingend den moralischen Schöpfungsakt «, sagte Jung-Gomez prompt.
»Irgendwer hat dir ein paar Schlagworte beigebracht«, sagte Lindsay lächelnd. »Planeten sind realexistierende Örtlichkeiten, nicht nur Rasterpunkte auf einem Zeichenbrett. Die Mühe wäre titanisch. Völlig außerhalb der menschlichen
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