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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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die wundersam verführerische Macht des Papiergeldes hatte ihn herumgekriegt. Er hatte sich zu lange Zeit gelassen, und die Schwarzmedics hatten - mit unwiderstehlich hohem Gewinn - ihre Anteile an auswärtige Investoren abgestoßen.
    Jetzt waren die Black Medics vor ihm sicher - und sie waren dankbar dafür. Sie brachten ihm ehrliche Hochschätzung entgegen und fielen ihm beständig mit Bitten um weitere Börsentips lästig.
    So war also jedermann glücklich. Lindsay rechnete mit einer langen Spieldauer. Danach, später, stellte er sich vor, würde es weitere Trickgeschäfte geben, größere, noch besser eingefädelte. Diese orientierungslose Sundog-Welt war der ideale Spielplatz für ihn. Hier war von ihm nichts weiter gefordert, als daß er nie innehalte, nie zurückblicke, niemals weiter vorausplane als bis zu seinem nächsten Schwindel.
    Darum würde sich Kitsune kümmern. Er warf einen Blick zu ihrer Opernloge und sah, wie sie dort mit raubtierhafter Scheinheiligkeit hinter den Höheren Chargen der Bank schwebte, die sie als ihre Marionetten benutzte. Sie erlaubte ihm weder Zweifel noch Bedauern. Und er war ihr dafür auf unklare Weise sogar dankbar. Ihr grenzenloser Ehrgeiz, ihn weiterzuhetzen, gestattete es ihm, die Konfliktpotentiale in seinem Wesen zu ignorieren.
    Sie hatten die Welt in die Tasche gesteckt. Aber unter dem leicht benommenen Triumphgefühl trieb wie eine schwache, aber unerbittliche Strömung ein Schmerz durch seine Seele. Er war sich bewußt, daß Kitsune ganz einfach und völlig unverfälscht mitleidlos war, ohne Erbarmen, völlig ungebrochen. Er jedoch spürte in sich eine brüchige Schweißnaht, einen schmerzhaften Saum, an jenem Ort, wo seine Ausbildung an sein anderes Selbst grenzte. Und jetzt, in diesem supertriumphalen Augenblick seines Erfolges, in dem er sich entspannen und sich ehrlicher Freude hinzugeben gedacht hatte, war dadurch alles befleckt.
    Überall ringsum geriet das Publikum außer Rand und Band vor Begeisterung. Aber etwas in Lindsay zwang ihn, hinderte ihn, sich dem Massenjubel preiszugeben. Er schreckte davor zurück, und er hatte das Gefühl, betrogen zu sein, verkorkst, als werde ihm etwas vorenthalten, daß er nicht so recht greifen konnte.
    Er tastete nach seinem Inhalator. Ein kräftiger Schniefer Chemie würde seiner Disziplin wieder auf die Sprünge helfen.
    Etwas zerrte am Stoff seines Jumpanzugs. Hinter ihm, links von ihm. Er spähte hastig über die Schulter.
    Ein schwarzhaariger, sehniger, schlaksiger, junger Mann mit schiefergrauen Augen hatte mit den muskulösen nackten Zehen des rechten Fußes Lindsays Jumpanzug gepackt. »Hallo Zielobjekt«, sagte der Mann und lächelte ihm offen zu. Lindsay betrachtete sich das Gesicht des Mannes nach seinen kinesischen Strukturen und entdeckte mit einer dumpfen Geschocktheit, daß das Gesicht sein eigenes Gesicht war.
    »Na, mal halblang, Zielobjekt«, sagte Lindsays Killer, und Lindsay hörte seine eigene Stimme aus dem Mund des Assassinen {6} dringen.
    Das Gesicht aber stimmte auf eine kaum merkliche Weise nicht.
    Die Haut sah zu rein aus, zu frisch. Sie wirkte synthetisch.
    Lindsay schraubte sich um die eigne Achse. Der Killer hielt mit beiden Händen einen Packdraht fest, und er fuhr mit dem linken Fuß los und umklammerte Lindsays Handgelenk mit den beiden Großzehen. Der Fuß quoll über von abnorm hypertrophiertem Muskelgewebe, und auch die Knöchelgelenke wirkten künstlich verändert. Der Zugriff war lähmend schmerzhaft. Lindsay spürte, wie seine Hand taub und gefühllos wurde.
    Der Mann rammte Lindsay die Zehe seines anderen Fußes in die Brust. »Nur keine Aufregung, Mann«, sagte der Killer. »Reden wir mal ein paar Takte.«
    Lindsays Training übernahm die Kontrolle. Sein schreckbedingter Adrenalinausstoß verwandelte sich zu eiskalter selbstsicherer Überlegenheit. »Wie gefällt dir die Vorstellung?« fragte er im Gesprächston.
    Der Mann lachte. Und da wußte Lindsay, daß er die authentische Stimme des Killers hörte; das Lachen war knisternd wie Eis. »Diese Welten hinter dem Mond sind voller Überraschungen«, sagte er.
    »Du hättest dich um eine Rolle bemühen sollen«, sagte Lindsay. »Du bist ein begabter Imitator.«
    »Ach, das kommt und geht so«, sagte der Killer. Er verbog geringfügig das alterierte Knöchelkonstrukt, und mit einer plötzlichen schneidenden Pein knirschten die Knochen in Lindsays Handgelenk so scharf aneinander, daß es ihm schwarz hinter den Augen aufstieg. »Was haste da

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