Schismatrix
hat.« Er hielt eine Ansprache vor dem Versammelten Senat und Parlament unter dem Vorsitz der Parlamentspräsidentin. Der Staatspräsident befand sich unter den Zuhörern. Die Obersten Richter hatten Dienst an der Kanone und im Kontrollraum und verfolgten die Sache über Intercom.
Der Präsident schüttelte den Kopf. »Die hat dir geglaubt. Die Shapers halten uns immer für blöd. Verdammt, für Shapers sind wir blöd!«
Lindsay sprach weiter: »Wir sind knapp neben der Öffnung ihres Abschußrings vertäut. Es ist ein langer kreisförmiger Tunnel, ein Ring um den Schwerkraftmittelpunkt des Brockens, dicht unter der Oberfläche ausgegraben. Es gibt Magnetstreifen für die Beschleunigung und eine Art magnetischen Abschußkolben.«
»Davon hab ich gehört«, sagte Richter-3 über das Intercom. Er war der reguläre Kanonier, ein Ex-Minenkumpel und fast ein Jahrhundert alt. »Das fängt mit 'ner ganz kleinen Aufladung an, um den Eimer hochzujagen, ihn magnetisch aufzuladen. Das ruht auf 'nem Magnetpolster, dann beschleunigst du, läßt es 'ne Weile rumschnurren, und dann blockst du exakt hinter der Mündung ab. Der Mörser verlangsamt sich, aber die Ladung schießt mit Klicks pro Sekunde raus.«
»Klicksekunden?« fragte die Parlamentspräsidentin. »Das könnte uns wegpusten.«
»Nein«, sagte der Präsident. »Sie würden dafür 'ne Menge Energie einsetzen müssen, für den Start. Und in dieser geringen Entfernung würden wir die Magnetfelder ausmachen.«
»Sie verweigern uns den Zugang«, sagte Lindsay. »Die Familie lebt sauber. Keine Mikroben, oder doch jedenfalls nur maßgeschneiderte. Und uns sickert das Zaibatsu-Zeug aus allen Poren. Sie bieten uns Beute und Lösegeld, wenn wir abziehen.«
»Das ist aber nicht unser Auftrag«, sagte die Parlamentsvorsitzende.
»Und wir können das Lösegeld nicht richtig bewerten, ohne daß wir zuerst ihre Wohnquartiere besichtigt haben«, sagte Rep-1. Die junge Shaper-Überläuferin strich sich mit emaillierten Fingerspitzen die Haare glatt. In der letzten Zeit hatte sie besonderen Wert auf ihre Aufmachung und Kleidung gelegt.
»Wir können uns mit dem Grabbohrer reinarbeiten«, sagte der Präsident. »Wir benutzen die Sonardaten, die wir gesammelt haben. Wir haben eine recht gute Vorstellung von den oberflächennächsten Tunnels. Wir könnten uns in fünf bis zehn Minuten reinbohren, während der Außenminister neu verhandelt.« Er zögerte. »Sie könnten uns dafür aber auch umbringen.«
In der Stimme der Vorsitzenden schwang kalte Bestimmtheit. »Wir sind sowieso tot, wenn die uns auf Distanz halten. Unser Geschütz reicht nur über Kurzstrecken. Und der Abschußring kann uns noch Stunden nach dem Abflug zupflastern.«
»Das haben sie aber früher nie getan«, sagte Rep-1.
»Aber jetzt wissen sie, wer wir sind.«
»Da gibt's nur eins«, sagte der Präsident. »Laßt drüber abstimmen.«
ESAIRS XII: 23-12-'16
»Schließlich sind wir aber eine Minendemokratie«, erklärte Lindsay gegenüber Nora Mavrides. »Gemäß der Fortuna-Ideologie hatten wir absolut das Recht zu Bohrungen. Wenn ihr uns einen Plan eures Tunnelnetzes zur Verfügung gestellt hättet, wäre das nicht passiert.«
»Ihr habt alles riskiert«, sagte Nora Mavrides.
»Du mußt zugeben, es hat auch Vorteile. Denn jetzt, wo euer System, wie du sagst, ›kontaminiert‹ ist, können wir einander wenigstens ohne Raumanzüge hautnah begegnen.«
»Das war unbesonnen und rücksichtslos, Außenminister.«
Lindsay legte die linke Hand auf die Brust. »Betrachtet es doch mal von unserem Standpunkt aus, Dr. Mavrides. Die FMD gedenkt nicht unbegrenzt darauf zu warten, ihr Eigentum in Besitz zu nehmen. Ich glaube, wir waren doch recht entgegenkommend.«
»Ihr unterstellt weiterhin, daß wir die Absicht haben, von hier fortzugehen. Wir sind Siedler, keine Briganten und Räuber. Wir lassen uns nicht durch nebelhafte Versprechungen abschieben, und auch nicht durch antimechanistische Propaganda. Wir sind Mineure.«
»Piraten. Schäbige Mech-Söldner.«
Lindsay zuckte die eine Achsel.
»Dein Arm da? Ist der wirklich verletzt? Oder machst du es nur, damit ich glauben soll, daß du ungefährlich bist?«
Lindsay schwieg.
»Ich greife dein Argument auf«, sagte sie. »Es gibt keine wahren Verhandlungen ohne Vertrauen. Irgendwo haben wir eine gemeinsame Basis. Also, suchen wir sie.«
Lindsay streckte den Arm. »Also gut, Nora. Wenn dies ausschließlich zwischen uns beiden gilt, vergessen wir mal das
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