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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Psychosomatisches sein.«
    »Ich will, daß der Arm sich bewegt«, erklärte der Präsident. »Also, beweg ihn, Soldat!«
    »Yessir!« sagte die Richterin bestürzt. Sie hatte bisher nicht begriffen, daß sie hier den Militärgesetzen unterworfen waren. Sie kratzte sich am Kopf. »Da bin ich zunächst mal überfordert. Ich bin bloß ein Mech. Ich bin kein Shaper-Psychotechniker.« Sie warf dem Präsidenten einen Seitenblick zu; der aber blieb unerbittlich. »Also, wollen wir mal nachdenken. ... Ja, so könnte es gehen.« Sie zauberte wieder ein neues Fläschchen hervor, auf dem irgend etwas in unleserlichen Krakeln stand. »Ha! Konvulsivum. Fünfmal stärker als die Nervensignale selber.« Sie zog drei Kubik in eine Spritze. »Wir nehmen wohl besser 'ne Schlinge um den Arm. Wenn das in seinen Kreislauf reinhaut, dann reißt es ihn ganz schön durch die Mangel.« Sie schaute Lindsay schuldbewußt ins Gesicht. »Das wird jetzt ein bißchen weh tun. Ziemlich weh.«
    Lindsay erkannte hier seine Chance. Sein Arm war mit Anästhetika vollgepumpt, aber er konnte ja den Schmerz simulieren. Wenn er ihnen das Gefühl gab, er leide schrecklich, verzichteten sie vielleicht auf den Test. Vielleicht meinten sie dann, er sei ausreichend für etwas bestraft worden, woran man ihm keine Schuld geben konnte. Die Richterin war ihm freundlich gesonnen; also konnte er sie vielleicht gegen den Präsidenten ausspielen. Und die Schuldgefühle der beiden würden dann das übrige tun.
    Er sagte mit brusttiefer Überzeugung: »Unser Präsident weiß am besten, was richtig ist. Du solltest seinen Anordnungen bedingungslos Folge leisten. Mach dir keine Gedanken um meinen Arm, er ist sowieso gefühllos.«
    »Das wirst du aber fühlen, Außenminister. Das heißt, solange du nicht etwa tot bist.« Die Kanüle drang ein. Sie zog den Druckschlauch fest über seinem Bizeps zu. Die Tätowierungen schlugen Wellen, als seine Venen anzuschwellen begannen.
    Und als ihn der grauenhafte Schmerz traf, begriff er, daß sein Anästhetikum nicht helfen würde. Das Konvulsivmittel brannte sich durch ihn hindurch wie eine Säure. »Das brennt!« schrie er. »Oh, wie das brennt!« Sein Arm wurde von Schwällen überflutet, die Muskulatur arbeitete auf gespenstische Weise. Der Arm begann spasmatisch zu schleudern und riß das eine Schlauchende aus der Hand der Richterin.
    Koaguliertes Blut sickerte an der Preßschlinge vorbei in Lindsays Brust. Er erstickte fast an einem Schrei und klappte mit aschgrauem Gesicht über seinen Knien zusammen. Das Medikament kroch wie glühender Heizdraht um seinen Herzmuskel herum. Er verschluckte die eigene Zunge und verfiel in Konvulsionen.
    Zwei Tage lang war er dem Tode nahe. Als er sich wieder zu erholen begann, hatten die anderen sich zu einer Volksentscheidung durchgerungen. Keiner erwähnte diesen Test und die Probe überhaupt jemals wieder. Das alles hatte nie stattgefunden.
     
    AN BORD DER ›RED CONSENSUS‹: 19-12-'16
     
    »Es ist nur ein Felsbrocken«, sagte Rep-2, während sie einen Kakerlak vom Videoschirm schnippte.
    »Es ist das Zielobjekt«, sagte die Parlamentsvorsitzende. Die Kommandozentrale lief auf Sparenergie, und der vertraute Chor von knallenden, quietschenden und rumpelnden Lauten war zu einem schwachen, dichten Kratzen abgeschwollen. Das Gesicht der Parlamentsvorsitzenden sah im Licht des Bildschirms grünlich aus. »Das ist ein Tarnobjekt. Die stecken da drin, das kann ich spüren.«
    »Es ist ein Felsen«, sagte Senator-3. Ihr Werkzeuggurt klirrte, während sie über den Köpfen dahinschwebte, um den Schirm beobachten zu können. »Die sind verduftet, abgezischt. Keine Infrarot-Anzeige.«
    Lindsay schwebte still in einer Ecke des Kommandoraums. Er schaute nicht auf den Videoschirm. Er rieb sich langsam, automatisch die tätowierte Haut des rechten Arms und stierte nirgendwohin. Die Haut war abgeheilt, doch die kombinierten Drogen hatten die zerquetschten Nerven versengt. Unter der Tuschekühle der Tätowierungen kam ihm seine Haut wie aus Gummi vor. Die Fingerspitzen der rechten Hand waren taub.
    Er setzte kein Vertrauen in die Zurückhaltung der Shapers. Das schwellende Sonnensegel der Red Consensus sollte eigentlich das Schiff als solches für Radar unsichtbar machen und einen Überraschungsangriff, einen Erstschlag von Seiten des Asteroiden verhindern. Doch Lindsay erwartete, daß er jeden Augenblick die letzte Halbsekunde des Einschlags verspüren würde, ehe die ShaperWaffen das Schiff zerfetzten.

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