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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Vorurteil. Du hast das selbst noch nicht erlebt. Und deshalb kommt die Orgie, die du vorschlägst, überhaupt nicht in Frage.«
    »Der Carnaval ist keine Orgie«, protestierte Lindsay. »Es handelt sich um eine Zeremonie. Um gegenseitiges Vertrauen, um Gemeinschaftsgefühl, Vereinigung. Er bindet die Gruppe zusammen. Wie bei Tieren, die sich aneinanderschmiegen.«
    »Es ist zuviel verlangt«, sagte sie.
    »Dir ist nicht klar, was auf dem Spiel steht. Sie wollen gar nicht deinen Körper haben. Sie wollen euch umbringen. Sie verabscheuen eure sterilen Eingeweide. Du hast keine Ahnung, wie ich auf sie eingeredet, sie bedrängt, sie überredet habe ... Hör zu, sie benutzen dabei Halluzinogendrogen. Das Gehirn wird im Carnaval zu Pudding. Du weißt nicht, was deine eigenen Hände sind - und schon gar nicht, was die Genitalien eines andern sind... du bist ganz hingegeben und preisgegeben ... Alle sind es, und das ist das Wichtige dabei. Schluß mit den Spielchen, Schluß mit der Politik. Keine Rangordnung mehr, kein oben und unten, kein Groll oder Neid. Kein Selbstgefühl . Und wenn der Carnaval zu Ende ist, dann ist es wie der Erste Schöpfungstag. Alles lächelt.« Lindsay wandte blinzelnd die Augen ab. »Nora, das ist was Wirkliches. Es ist nicht ihre Regierungsform, die sie am Leben erhält; die ist nur die Hirnseite davon. Der Carnaval aber ist das Blut, das Mark, der fruchtbare Schoß.«
    »Aber es ist nicht unsere Art, Abélard.«
    »Und doch, wenn ihr euch mit uns verbinden könntet, ein einziges Mal, nur für ein paar kleine Stunden! Dann würden sich diese Spannungen von uns lösen, und wir könnten einander ehrlich vertrauen. Hör mich an, Nora! Sex, das ist nicht irgendeine technische, mechanische Fertigkeit. Sex ist wirklich, fundamental wirklich, menschlich, er ist eins der allerletzten Dinge, die uns noch geblieben sind. Ach, verdammt! Was habt ihr denn schon zu verlieren?«
    »Es könnte sich um einen Hinterhalt handeln«, sagte sie. »Ihr könntet unser Hirn durch Drogen verbiegen und weichmachen, um uns zu töten. Es ist ein Risiko.«
    »Selbstverständlich ist es das, aber es gibt Möglichkeiten, das zu vermeiden.« Er stellte festen Augenkontakt zu ihr her. »Ich sage dir das alles wegen des tiefen Vertrauens, das zwischen dir und mir besteht. Wir könnten es doch wenigstens einmal versuchen .«
    »Mir gefällt das nicht«, sagte Nora. »Ich mag Sex nicht. Ganz besonders nicht mit den Ungeplanten.«
    »Es geht aber darum, oder du mußt deinen eigenen Gensaft nehmen«, sagte Lindsay. Aus der Fronttasche zog er eine aufgezogene Injektionsspritze und steckte die Nadel auf. »Mein Stachel ist bereit.«
    Sie warf einen seitlichen Blick darauf, dann produzierte sie ihre eigene Nadel. »Es wird dir vielleicht nicht gut bekommen, Abélard.«
    »Was ist es?«
    »Ein Sedativum. Kombiniert mit Phenylxanthin, um deinen IQ hochzujagen. Damit du begreifst, wie und was wir empfinden und denken.«
    »Das da ist nicht die hochpotenzierte Carnavalmischung«, sagte Lindsay. »Bloß die Aphrodisiaka, fünfzigprozentig, und Muskelrelaxatoren. Ich glaube, du hast das nötig, da ich den Spinalkrebs ja kaputtgemacht habe. Du wirkst ein bißchen fickerig.«
    »Du scheinst mir übergenau zu wissen, was ich brauche.«
    »Darin stehe ich dir kaum nach.« Lindsay streifte den losen Ärmel seiner Wickelbluse hoch. »Das ist es jetzt, Nora. Du könntest mich jetzt ganz leicht töten und die Schuld auf eine allergetische Reaktion schieben, oder auf Streß oder sonst etwas Beliebiges.« Er betrachtete die vulgäre Tätowierung auf seinem Arm. »Tu es nicht!«
    Auch sie war argwöhnisch. »Zeichnest du das hier auf?«
    »Ich laß in meinem Zimmer keine Bänder zu.« Aus einem Styrenschränkchen holte er zwei Elastoschlingen und reichte ihr die eine.
    Dann band er sich am Bizeps den Oberarm ab. Sie tat das gleiche. Sie ließen die Ärmel hochgestreift und warteten stumm, bis die Venen hervortraten. Es war der intimste Augenblick, den sie je zusammen erfahren hatten. Diese Vorstellung erregte Lindsay.
    Sie ließ die Nadel in die Armbeuge gleiten und fand die Vene, die sich an der plötzlich sich bildenden Blutrosette am Kanülenende zeigte. Er tat es ihr nach. Sie blickten einander fest in die Augen und drückten den Kolben durch.
    Der Augenblick verging. Lindsay zog die Nadel heraus und drückte einen sterilen Plastikpunkt auf die Einstichstelle an Noras Arm. Dann tat er dies auch bei sich selbst. Sie schnürten die Pressionsschläuche

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