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Schiwas feuriger Atem

Schiwas feuriger Atem

Titel: Schiwas feuriger Atem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford & William Rotsler
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Erfahrung war nützlicher als Muskeln. Doch die Zeit würde kommen, wenn die Hand ein klein wenig zu langsam wurde, das Auge nicht mehr ganz so exakt registrierte. Dann hörte man auf, Pilot zu sein und wurde »Erdferkel«, bediente eine Konsole oder ein Schaltpult, sprach durchs Mikrophon zu Leuten, die jetzt das taten, was man einst selber getan hatte. So war es mit Dink Lowell gekommen – und was war aus dem Kerl geworden! Das erste fühlbare Zeichen, daß man sterblich ist: Bodendienst.
    Nachdem Carl die erste Meile hinter sich gebracht hatte, fiel er in einen knirschenden methodischen Trab. Tunk tunk tunk kam es von unten her durch seine Knochen; seine Sohlen stapften mit einem merkwürdig soliden Ton auf, wie Holzscheite, die auf Eichenplanken fallen. Ein Rhythmus, ein beruhigendes Klopfen. Unter den starken Lampen trug es ihn um die Bahn.
    Er wußte, warum er hier war. Die Bilder stiegen in ihm auf und ordneten sich. Das war Carls Methode, sein inneres Haus zu bestellen. Er hielt nichts von Psychoanalyse – damit hatte keiner etwas zu tun, der ins Astronautik-Programm kam; doch dies war seine eigene, ihm wohlbewußte Privat-Psychotherapie. Hier fand er heraus, was er wirklich von den Dingen dachte. Hier kamen seine Ideen und Entscheidungen an die Oberfläche.
    Schiwa. Seine erste Reaktion war – jetzt konnte er es ja zugeben – nackte Angst gewesen. Er wußte, was es mit diesen vielen Zahlen auf sich hatte. Die siedenden Bilder in seinem Innern kochten jetzt über, spielten farbige Szenen vor seinem geistigen Auge. Und die letzte Konsequenz: das Ende von Carl Jagens.
    Carl biß die Zähne zusammen, ließ nach, biß sie wieder zusammen, lockerte wiederum die Kiefer. Angst hatte er also – na und? Er hatte schon manchmal Angst gehabt: auf dem Mond, im Orbit, bei diesem verpatzten lift-off in Vandenberg, als er aus dem Bay-Tunnel kam und der Gel-Gas-Tanker plötzlich auf ihn zu schlitterte. Hauptsache, man gelangte über den Angst-Moment hinaus, man fing sich wieder, ehe einem die Eingeweide ins Universum flogen, wo sie jeder sehen konnte. Darauf kam es an.
    Tunk tunk tunk. Ferne, verschwommene Erinnerungen. Jerry Osbournes Tyrannei, das sinnlose und erfolglose Dagegenankämpfen, die panische Angst. Osbournes Art, einen anzusehen, alle banalen Sticheleien und Schikanen, die ihm so unter die Haut gegangen waren. Er lächelte flüchtig. Hast du dir eingebildet, du würdest das vergessen, ja, fragte er sich. Aber er erinnerte sich auch an die Befriedigung der letzten Prügelei: mit blutender Nase, doch siegreich war er herausgekommen, auf immer frei von der barbarischen Versklavung durch diesen Schulhoftyrannen. Drei Jahre hatte es gedauert, aber er hatte gewonnen. Endgültig. Hinterher war er sogar großherzig gewesen, aber innerlich voller Selbstgefälligkeit und billigem Triumph.
    Schiwa.
    Das Unerwartete ist eine versteckte gute Gelegenheit – hatte Benjamin Franklin nicht so etwas gesagt? Schiwa war so eine Gelegenheit. Aber wozu?
    Tunk tunk tunk tunk. Er lief weiter, unter dem starrenden Licht der Lampen, in der dicken Luft. Das ganze Raumfahrtabenteuer war am Verblassen, leierte sich aus. Seit über zwei Jahren sah er das. Nun fiel ihm wieder ein, wie ihm diese Tatsache bei einem ähnlichen Langstreckenlauf klargeworden war. Er hatte verschiedene Fakten zusammengerechnet: rückläufiger Finanzetat, Kürzung der orbitalen Produktionsprogramme, Abfall bei den Gallup-Tests, weniger Neueinstellungen, weniger Zeitungsausschnitte. Die nächsten Schritte in den Raum waren zu groß: der ferne Mars, die noch ferneren Jupiter-Monde, die unmöglich fernen Fixsterne. Die Leute mochten nicht daran denken. Wenigstens nicht, wenn es dabei an ihre Brieftaschen ging.
    Tunk tunk. Vielleicht würde die Raumforschung zu einer Erweiterung des menschlichen Siedlungsgebietes führen, zu permanenten Kolonien außerhalb der Erde; aber das würde noch sehr viel Zeit und Mühe kosten. In den Zentralen der Macht war der Glaube an die NASA nicht stark genug, um ihr bisheriges Expansionstempo auch weiterhin durchzuhalten. Und wenn die NASA nicht mehr wuchs, dann würde Carl Jagens auch nicht mehr wachsen. Am Ende würde er noch aus dem Astronautendienst ausscheiden und Verwaltungsmensch werden, Missionen planen müssen, statt an ihnen teilzunehmen. Aber machte es Spaß, solche knickerigen Missionen auszuarbeiten; Flüge, die vielleicht länger dauerten und weiter führten als die, an denen man selbst teilgenommen hatte, die aber

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