Schiwas feuriger Atem
und Klassen. Sie schwenkten Fahnen und Kreuze. In der Mitte, direkt hinter der hohen Säule mit der Nelson-Statue, brannte ein riesiges Holzkreuz. Der Wind sprang um und brachte Ölgeruch; er mußte die Augen zumachen, als er in den Qualm sah, der von jenem Kreuz hochwirbelte.
Hing dort oben ein Mann? Er konnte es nicht genau erkennen und ging weiter. Jemand rannte an ihm vorbei, stieß gegen seine Schulter und eilte weiter.
Kingsley blieb am Rande der Menschenmenge, im Streit mit sich selbst, ob er hierbleiben sollte. Menschenansammlungen waren ihm unsympathisch, besonders solche, die feindselige Schwingungen ausstrahlten. Aber Versammlungen auf dem Trafalgar Square hatten Tradition, also war nicht zu verwundern, daß die religiösen Typen stark vertreten waren. Er arbeitete sich durch die dichter werdende Menge auf eines der Londoner Bauwerke zu, die er am meisten liebte, die Kirche St. Martin-in-the-Fields.
Die Kirchenmauer war mit roter Farbe bespritzt.
Aber – war es wirklich rote Farbe?
Kingsley arbeitete sich durch die Masse der anbrandenden Menschenleiber näher heran, kam jedoch nicht durch und mußte in Richtung auf die National Gallery zurückweichen.
Ein anglikanischer Geistlicher stieß ihn grob beiseite und murmelte dann eine hastige Entschuldigung durch die zusammengebissenen Zähne. Kingsley sah, daß die beiden Springbrunnen auf dem Square nicht in Betrieb waren; Leute in ihren schmutzigen grauen Roben mit langen flatternden Ärmeln tummelten sich dort. Als er nach Süden blickte, sah er, daß der Strand voller Menschen war.
Dann sah er riesige Banner. Sie waren am Dach der National Gallery angebracht und hingen hinunter, bedeckten den größten Teil der Gebäudefront und blähten sich in der leichten Brise, hellblaue Streifen mit einem großen weißen Kreis in jedem. In den Kreisen überlebensgroße Gesichter: Jagens, Menschow, Lisa Bander.
Kingsley starrte in ihr Gesicht. Es war ihr nicht sehr ähnlich, doch irgendwie hatte der Maler den Schatten eines Lächelns um ihre Mundwinkel getroffen. Er sah es sich genau an und wandte sich dann ab. Die Banner machten ihn nervös; es war, als starre sie ihm direkt ins Gesicht.
Die Menschenmenge wurde immer erregter. Er blickte zum Himmel auf. Hier in England würde es mittlerer Nachmittag sein, wenn Bolschoi detonierte. Die Menschen im Westen der Vereinigten Staaten würden ihn bei Morgengrauen sehen, und den Sowjets würde ihre Armageddon-Bombe als ferne Abenddämmerung aufleuchten.
Kingsley verließ den Trafalgar Square und wandte sich, Gruppen parolenschreiender Menschen ausweichend, zur National Gallery. Auf einmal verstummte das Geschrei, plötzliche Stille fiel ein, nur ein zischender Laut war zu hören, als Tausende gleichzeitig tief Luft holten.
Und dann, hoch in der Schale des Himmels, brach ein kleiner gelber Blitz auf. Ein Brüllen aus der Menge antwortete. Der Feuerball verblaßte und verschwand. Hier und da kamen Hurrarufe aus der Menge, aber neben freudig erregten auch wütende Rufe. Die Stimmung war geteilt. Um die Besitzer von Transistorradios drängten sich Trauben von Zuhörern. Ein Murmeln stieg aus der Menge und brandete auf in einzelnen Schreien: »Es war nichts!« Wieder Freudenrufe, aber viele stöhnten verzweifelt. Es kam zu Schlägereien, einem Mann wurde mit einem rostigen Bajonett der Bauch aufgerissen; seine Gedärme, ein graugrünes Gewirr, hingen heraus. Blindwütig schlugen die Menschen aufeinander ein, die Massen wogten hin und her, rissen sich um, trampelten sich tot. Männer fluchten, Frauen schrien. Kingsley spürte etwas unter seinen Schuhsohlen: er stand auf dem Arm eines Menschen. Eine zurückflutende kreischende Gruppe riß ihn fast um. Ein tiefes, drohendes Grollen wogte über dem Square. Kingsley wollte so schnell wie möglich aus diesem Gewühl heraus; mit wütenden Stößen kämpfte er sich durch die Masse. Wieder fühlte er etwas Weiches unter seinen Füßen, aber er sah nicht hinunter.
Als er einen Augenblick nicht weiterkam, sah er einen Mann irgendwo hochklettern, doch es dauerte ein paar Sekunden, bis ihm klar wurde, was dort vor sich ging. Eine Anzahl Männer und Frauen hatten sich am Fuße der National Gallery zusammengerottet. Einer hatte das erste Stockwerk erklommen und knüpfte eins der Taue los, die jene riesigen blauen Banner hielten. Als er es freibekommen hatte, fiel es schlaff herunter und reichte fast bis aufs Straßenpflaster. Ein Mann packte es, riß prüfend daran und begann zu
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