Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Sie kann sich nicht die Nägel schneiden, ihre Füße waschen oder die Zähne putzen – es sei denn, wir fordern sie direkt dazu auf und bleiben neben ihr stehen, bis sie das erledigt hat. Sie vergisst es, weil sie so damit beschäftigt ist, den kreisenden und drängenden Gedanken, Figuren, Geräuschen und Gerüchen in ihrem Kopf zu folgen. Das Nächste ist ihre Kleidung – auch diese bildet durch Löcher, Schnitte und extreme Bemalungen das Chaos in ihrem Kopf ab. Und dann die äußere Umwelt – sie ist ebenfalls ein Ausdruck dessen, was in Lenas Kopf passiert. Achten Sie nicht darauf, konzentrieren Sie sich auf die Beziehung zu Lena. Es ist unwichtig, wie sie im Moment aussieht.«
Frau Dr. E. rät mir dann, Lena schöne Kosmetika zu schenken: ein Schaumbad, eine Gesichtscreme, eine Bodylotion. Es klingt vielleicht absurd, angesichts einer so schlimmen Erkrankung an Gesichtscreme und Schaumbad zu denken. Aber ich weiß heute, dass es stimmt. Ich kann an der Länge von Lenas Fingernägeln sehen, ob sie sich auf dem Weg in eine Psychose befindet. In gesunden Zeiten knabbert sie an den Fingernägeln, die entsprechend kurz sind. Wenn ihre Nägel lang und schmutzig werden, weiß ich, dass eine schwierige Phase bevorsteht. Und ich weiß, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn Lena wieder liebevoll mit ihrem Körper umgehen kann, wenn sie sich über ein warmes Schaumbad freut, wenn sie sich im Krankenhaus von mir eine schöne Gesichtscreme wünscht. Sie kann dann wieder für sich sorgen. Es bricht mir fast das Herz, wenn ich sehe, wie sich aus einer wachen, intelligenten, attraktiven Lena eine finstere, wütende, verwahrloste junge Frau entwickelt.
1998
Spagat zwischen Fürsorge und Beruf
Als Lena die ersten Male Ausgang hat und nach Hause kommen kann, freuen wir uns beide. Allerdings merke ich schnell, dass es, zumindest für mich, keine Entlastung bedeutet, im Gegenteil. Ich hatte mich daran gewöhnt, am Wochenende oder unter der Woche keine Freunde mehr zu besuchen, weil die wenige verbleibende Zeit für Krankenhausbesuche reserviert ist. Aber mir blieb am Wochenende Zeit, früh ins Bett zu gehen und auszuschlafen. Das verändert sich mit dem Moment, in dem Lena Ausgang bekommt. Ich könne sie bereits morgens um acht abholen, erklärt sie fordernd. Sie ist froh, dem Krankenhaus endlich eine Zeitlang den Rücken kehren zu können. Den Wunsch kann ich ihr natürlich nicht abschlagen. Und auf die Idee, sie erst um zehn abzuholen, komme ich nicht. Also heißt das, bereits am Freitagabend einzukaufen und am Samstag früh aufzustehen und loszufahren.
Zu Hause komme ich nicht zur Ruhe. In unserer Dachgeschosswohnung achte ich ständig darauf, dass alle Fenster und vor allem die Terrassentür fest verschlossen sind, wenn Lena da ist. Was immer ich tue, unterbreche ich, um nachzusehen, was sie gerade macht. Wenn es in ihrem Zimmer eine Weile still ist, muss ich unter einem Vorwand hineingehen.
In der Nacht schrecke ich bei jedem Geräusch hoch. Wie viele psychisch Kranke kann Lena nachts nicht gut schlafen und läuft unruhig durch die Wohnung. Wann immer ich sie höre, gerate ich in Panik und muss schnell nachsehen, was sie tut. Vorsichtig verschließe ich die Wohnungstür und hoffe, dass Lena das nicht mitbekommt. Ich bin in permanenter Alarmbereitschaft. Wenn ich Lena zum Essen in ein Restaurant einlade, folge ich ihr aufs Klo, aus Angst, dass sie verschwindet oder vielleicht Drogen nimmt. Am Sonntag muss sie erst um 18 Uhr wieder im Krankenhaus sein, und selbstverständlich will sie keine Minute früher dorthin. Ebenso selbstverständlich entspreche ich ihrem Wunsch. Wenn ich um 19 Uhr todmüde vom Krankenhaus zurückkomme, kann ich gerade noch die Sachen für die nächste Reise packen oder eine Bluse bügeln und falle dann ins Bett.
Noch schlimmer wird es, als Lena das Krankenhaus verlassen darf und wieder ganz bei mir wohnt. Die Angst und die Verantwortung vervielfachen sich.
Es dauert fünf Monate, bis endlich eine Tagesklinik gefunden ist. Lena ist immer noch erschöpft und leicht nervös, schafft es aber, morgens pünktlich zu erscheinen. Sie findet Freundinnen, geht dort in die Schule und hat einen geregelten Tagesablauf. Leider beginnen bald auch wieder ihre Klagen. Sie mag ihre Ärzte nicht, die anderen Schüler sind unfreundlich zu ihr, das Essen ist schrecklich. Nach ein paar Monaten will sie morgens nicht mehr in die Tagesklinik gehen, und ich mache mir wieder Sorgen. Der Leiter der Tagesklinik wehrt
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