Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Billardkneipe. Geld für ein Taxi habe sie nicht mehr. Nein, sie könne leider nicht genau sagen, wo sie sich gerade befinde, aber es gehe ihr gut. Nur vorhin seien da so blöde Typen gewesen, die hätten sich geprügelt, aber die seien jetzt weg. Sie verstehe überhaupt nicht, warum Frau Nkosi sich Sorgen mache. Es ist eine etwas wirre Geschichte, die Lena erzählt. Frau Nkosi ist böse mit Lena, so etwas könne man in Südafrika nicht tun, das sei einfach zu gefährlich. Aber nun würde ihr Sohn versuchen, mit den Jungen zu sprechen, mit denen Lena Pool Billard spielt, und sie dann mit dem Taxi abholen. Sie würde mich sofort wieder anrufen. Gegen fünf Uhr bringt Frau Nkosis Sohn Lena endlich nach Hause. Sie ist erschöpft, aber es geht ihr gut. Sie redet ein bisschen wirr. Es scheint, dass die jungen Männer froh waren, dass sie abgeholt wurde, weil sie durch Lenas Verhalten etwas verunsichert waren. Lena berichtet mir dann, dass sie die Tabletten abgesetzt habe, weil die anderen sie wegen des vielen Schlafens ausgelacht hätten. »Ich will nicht immer so müde sein, Mami. Ich will doch alles mitmachen.« Im Gespräch versuche ich, sie zu beruhigen, etwas anderes kann ich jetzt ohnehin nicht tun. Frau Nkosi sorgt dafür, dass Lena schlafen geht, und rät mir, in Berlin zu bleiben. Sie verspricht, auf Lena aufzupassen und sie drei Tage später mit der Gruppe ins Flugzeug zu setzen. Die nächsten Tage telefonieren wir mehrmals täglich, ich versuche, den Kontakt permanent aufrechtzuerhalten. Was für ein Glück, dass die Jugendlichen ausgerechnet im Hostel von Frau Nkosi übernachtet haben!
Als Lena endlich in Berlin ankommt, sehe ich sofort, dass nichts gut ist. Die anderen halten sich von ihr fern, und ich spüre, dass sie froh sind, Lena loszuwerden. Ich kann es ihnen nicht verübeln: Sie wussten nichts von Lenas Erkrankung und waren mit ihrem unverständlichen Verhalten überfordert. Es war ihnen unheimlich. Zu Hause lasse ich Lena ausschlafen, bekoche sie und versuche, wieder Ruhe einkehren zu lassen. Aber meine Bemühungen kommen zu spät. Sie hat schon seit zwei Wochen ihre Tabletten nicht genommen, die vielen neuen Eindrücke haben sie aufgeregt und sicher auch das Treffen mit ihrem Vater, von dem sie jahrelang nichts gehört hatte. Immer wieder erzählt sie wirre Geschichten über die Armut in Südafrika, die sie als schrecklich empfand, und sie weiß nicht, ob sie noch auf der Reise ist oder schon wieder zu Hause. Eine Woche später muss ich sie wieder ins Krankenhaus bringen. War es falsch gewesen, sie nach Südafrika reisen zu lassen? Ich mache mir Vorwürfe. Aber sie hat doch auch Schönes dort erlebt, und noch heute erzählt sie begeistert von dieser Reise. Die schwierigen Momente scheint sie auszublenden oder vergessen zu haben. Sie schwärmt von der Waterfront in Kapstadt, Radio Bushhouse, dem wunderbaren Essen und den süßen kleinen Geschwistern.
Ist das für einen gefährdeten Menschen der Preis für neue, intensive Eindrücke? Solche Eindrücke bergen jedes Mal die Gefahr, dass der oder die Betroffene von ihnen überfordert wird und einen Zusammenbruch erleidet. Aber wäre es richtig, einem gefährdeten Menschen jedes Wagnis auszureden, jedes Risiko zu ersparen, nur damit nichts passiert? Ganz sicher nicht, denke ich heute.
Lena kann das Krankenhaus pünktlich zum Schulanfang wieder verlassen. Vielleicht muss ich darüber schon froh sein.
2005
Immer mehr Schulden
Ab und zu besuche ich Lena zu Hause, offenbar hilft es ihr, wenn ich mich beim Lernen neben sie setze. Es ist erstaunlich, wie Lena inmitten ihres Chaos vor ihrem Laptop sitzt und ungestört lernen kann.
Mir gelingt es weniger gut, das Durcheinander einfach auszublenden, so dass ich meine Besuche bei Lena nutze, um ein wenig Ordnung zu schaffen. Das macht sie nervös, aufgeregt will sie jedes Stück Papier sehen, ehe ich es in den großen blauen Plastiksack befördere. Ich verspreche ihr, nichts ungefragt wegzuwerfen, sondern ordentliche Stapel zu machen, so dass sie dann entscheiden kann. Dabei entdecke ich zu meinem Entsetzen eine Mahnung ihres Vermieters. Sie ist nicht nur einen Monat, sondern gleich zwei Monate mit der Miete im Rückstand. Meine hektische Suche ergibt weitere Mahnungen für Handyrechnungen, Rechnungen von der Telekom, für bestellte Waren und von der Bank wegen Überziehung ihres Dispokredits. Ich bin fassungslos. Lenas Schulden belaufen sich auf fast 2000 Euro. Auf mein Nachfragen reagiert sie gereizt:
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