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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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gehen, eine Beziehung zu ihm herzustellen und gemeinsam mit ihm herauszufinden, was ihm helfen kann. Ein Krankenhausaufenthalt wäre dann nur eine unter vielen und sicher nicht immer die beste Möglichkeit.
    Und wenn doch einmal eine Zwangseinweisung notwendig sein sollte, dürfte sie nur von Polizisten oder Feuerwehrleuten vorgenommen werden, die gut ausgebildet sind. Die keine Angst vor psychisch Kranken haben, weil auch sie nur die effekthascherischen Darstellungen aus den Medien kennen. Und die wissen, wie man eine aufgeladene Situation deeskaliert. Wir haben Polizisten erlebt, die dazu in der Lage waren.
    Ein »Nein« zu Zwangseinweisung und zu Zwangsbehandlung ist leicht zu fordern, dafür lassen sich viele Verbündete finden. Aber Menschen für ein »Ja« zu mobilisieren, nämlich für aufsuchende Hilfe, Gespräche, Zeit, ausreichend Geld und Personal ist viel schwieriger und mühseliger. Ein »Nein« zur Zwangseinweisung ohne ein gleichzeitiges »Ja« zu vorbeugenden Hilfsmöglichkeiten für psychisch Kranke halte ich für zynisch.

2009
    Blutige Entlassung
    Lenas anhaltende Krankheitsphase ohne jede Behandlung hat auch bei mir ihre Spuren hinterlassen. Mein Verständnis lässt nach, meine Geduld ist am Ende. Auch ich werde mittlerweile schnell wütend, wenn Lena regelmäßig am Wochenende kommt und Geld für Zigaretten oder Essen will. Sie wird es mir zurückgeben, schwört sie. Sie könne doch nichts dafür. Es liege an der Betreuerin oder an mir. Wenn ich ihr mehr Geld geben würde und wenn sie keine Betreuerin hätte, dann wäre das mit dem Geld alles in Ordnung. Gegen diese »verrückte« Logik komme ich nicht an. Was auch immer ich einzuwenden versuche und welche Argumente ich auch finde, sie weicht keinen Millimeter von dieser Überzeugung ab und gerät in eine Endlosschleife. Mit anschwellender Lautstärke erklärt sie mir, was ich ihr jetzt und immer schon angetan habe und dass es nicht zu verstehen ist, dass eine Mutter nicht ein Mal fünf Euro für ihre Tochter hat, die doch nur ein kleines Päckchen Zigaretten braucht. Und sie wird mit noch größerer Lautstärke und Heftigkeit auf der Straße oder im Restaurant, im Auto oder meiner Wohnung jeden unüberhörbar wissen lassen, dass eine Mutter, die ihrer Tochter niemals etwas gibt, etwas ganz Furchtbares sei und dass sie sich so sehr wünscht, eine Mutter zu haben, die wenigstens ein Mal im Leben etwas für ihre Tochter tut. Wie zum Beispiel ihr nur fünf Euro für ein kleines Päckchen Zigaretten zu geben. Das sei doch wirklich nicht zu viel verlangt. Eine Mutter, die sich ohne jede Rücksicht auf ihre notleidende Tochter gerade ein neues T-Shirt gekauft habe und außerdem am Vortag mit einer Freundin in einer Pizzeria war und dort sicher auch Geld ausgegeben habe und es hartherzig ablehne, ihrer eigenen Tochter nur ein Mal fünf Euro für ein Schächtelchen Zigaretten zu geben. Einer Tochter, die sogar schon billigen Tabak kaufen müsse, nur weil es der eigenen Mutter zu viel sei, die Tochter nur ein Mal mit einer anständigen Schachtel Zigaretten zu versorgen. Es sind schließlich nur fünf Euro!
    Zwei Jahre später erklärt mir Lena, wie es ihr in dieser Zeit ging, als sie so oft Geld forderte und aggressiv war. Ich solle mir einfach vorstellen, wie es ist, wenn man fast 20 Stunden am Tag nicht schlafen kann und in seiner kleinen chaotischen Wohnung angsterfüllt und unruhig auf den Fernseher starrt. Dann müsse sie einfach rauchen. Wenn sie Geld genug hatte, habe sie fünf Schachteln am Tag geraucht. Und weil sie fast alles Geld für Zigaretten ausgegeben habe, war auch nichts für Essen übrig. Sie sei dann so verzweifelt gewesen, dass sie mich angerufen und angebrüllt hätte. »Mami, ich habe mir oft die Toastscheiben abgezählt, ich durfte genau vier Toastscheiben am Tag essen. Ich habe mir aus Mehl und Wasser Pfannekuchen gemacht, die sind oft an der Pfanne kleben geblieben, weil ich kein Geld für Öl hatte!«
    Ich schäme mich für meine Wut und Frustration und für meinen Mangel an Gelassenheit und Pragmatismus. Aber wäre es Lena bessergegangen, wenn ich großzügiger gewesen wäre? Auch wenn ich ihr Geld für Zigaretten gab, war das Geld zwei Stunden später verschwunden – und sie investierte es nicht nur in Zigaretten. Ein Gang durch die Fußgängerzone – und Lena war im Besitz von Fusselbürsten, Toilettenspray, Strümpfen mit Froschmuster oder kleinen Büchern über Naturkosmetik. Sie verfiel in einen regelrechten Kaufzwang

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