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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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– auch dies ein Krankheitssymptom. Vielleicht hätte ich Lenas Situation verbessern können, indem ich ihr alle drei Tage ein paar Schachteln Zigaretten und eine Tüte mit Lebensmitteln vorbeigebracht hätte. In jedem Fall hätte ich mich nicht von ihrer Aggressivität erschüttern lassen sollen. Es ist immer ein Gewitter, das vorbeizieht, ein Ausbruch, der vorübergeht und den ich nicht an mich heranlassen sollte. Aber damals bin ich dazu nicht in der Lage. Immer wieder kommt es zwischen uns zu Konfrontationen, in denen ich unterliege. Selbst wenn ich Lena eine spezielle Freude machen will, endet es häufig in einer Katastrophe.
    Lena liebt es, essen zu gehen. Ab und zu gebe ich ihrem Wunsch nach einem Restaurantbesuch nach, um zu sehen, wie es ihr geht und um wenigstens einmal in Ruhe mit ihr zusammenzusitzen, aber auch, weil ich sie nicht mehr in meine Wohnung lassen will. Ich wüsste nicht, wie ich mich wehren sollte, wenn sie sich weigert, die Wohnung wieder zu verlassen. Zunächst sind unsere gemeinsamen Restaurantbesuche oft schön. Wir unterhalten uns entspannt, aber ich bin ständig in innerer Anspannung, weil ihre Stimmung abrupt umschlagen kann. Einen Moment lang ist sie locker, raucht, bestellt, was sie gern mag. Und schon im nächsten steigert sie sich in heftige Tiraden gegen die Betreuerin oder gegen mich hinein. Und dann folgen aggressive Forderungen nach Geld. Ich kann beobachten, wie Lena sich bemüht, diese Ausbrüche zu kontrollieren. Sie läuft dann auf die Straße, um zu rauchen, kommt zurück und entschuldigt sich. Aber keine zehn Minuten später bricht es wieder aus ihr heraus. Sie kann es nicht unterdrücken. Das ist das Heimtückische und schwer Erträgliche an psychischen Erkrankungen.
    Ihre Angriffe zu kontern oder einen dieser unproduktiven Dialoge mitzumachen wäre vollkommen sinnlos. Wenn ich schreie, ist Lena mir überlegen und wird noch aufgeregter und lauter. Alles eskaliert. Wenn ich zusammenbreche, feuert sie treffende, verletzende Bemerkungen ab. Wenn ich mich auf einen Dialog einlasse, ende ich da, wo ich auch mit Karim oder meiner Mutter endete: vollkommen verwirrt. Dann weiß ich nicht, ob ich »verrückt« bin oder mein Gegenüber. Nach mehr als zehn Jahren habe ich aufgegeben. Ich diskutiere und argumentiere nicht mehr. Ich hole tief Luft und schweige, und oft gebe ich nach. Mein Schweigen findet Lena unerträglich. Meine Therapeutin sagt, ich entziehe mich der Auseinandersetzung, was eine Zurückweisung und Kränkung des Gegenübers bedeute. Also ist Argumentieren nicht gut und Schweigen auch nicht. Wahrscheinlich sollte ich konstruktiv sein, aber das kann ich nicht immer. Und manchmal will ich mich auch nicht auseinandersetzen, sondern einfach meine Ruhe haben. Spätestens dann, wenn sich Leute an den Nachbartischen neugierig bis irritiert umsehen, nestele ich doch fünf Euro aus dem Portemonnaie. Ich weiß, das ist inkonsequent und zeigt, dass ich nicht souverän genug über der Meinung anderer stehe. Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt: Ich sehe, wie Lena unter Zigarettenentzug leidet. Sie ist erschreckend nervös, zittert, schreit, kann sich auf nichts konzentrieren, wühlt in ihrer Tasche nach dem letzten Krümelchen Tabak. Ich weiß, dass sie zu Hause die aufgerauchten Zigarettenstummel aufhebt, um sie in Zeiten größter Not noch zu einer Zigarette zusammenzubasteln. Das kann ich nicht mit ansehen.

Geplatzte Traumreise
    Gerade versucht Theo, mein zweijähriger Enkel, mich mit seinem Frühstücksei zu füttern. Mit meiner Tochter Friederike und ihrem Mann Andreas sitze ich gemütlich am Frühstückstisch. Wir lachen über Theos Versuche, Ei auf den roten Löffel zu schieben. Ich bin auf dem Weg nach Frankreich und habe bei meiner Tochter einen Zwischenstopp eingelegt. Nach langem Überlegen habe ich beschlossen, einen Urlaub zu wagen. Der Entschluss war nicht leicht. Was passiert mit Lena, wenn ich nicht da bin? Sie spricht zwar jetzt ohnehin selten mit mir, aber ich habe das Gefühl, in einer Krise gebraucht zu werden.
    Trotzdem: Ich möchte jetzt endlich wieder einmal etwas für mich tun, aber mich verunsichern die Reaktionen von Freunden und Verwandten. »Ich finde es großartig, dass du endlich etwas für dich tust«, höre ich, gefolgt von: »Ich weiß aber nicht, ob ich mich das trauen würde.« Sofort ist es wieder da, das schlechte Gewissen. Bin ich rücksichtsloser als andere Mütter? Aber ich setze mich gegen mich selbst durch. Was soll schon

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