Schlachthof 5
, meinte Billys Mutter hingerissen. »O Gott — es hat sich wahrhaftig gelohnt. «
Billy verabscheute den Canyon. Er war sicher, daß er hineinfallen würde. Seine Mutter berührte ihn, und er machte sich die Hose naß.
Auch andere Touristen schauten in den Canyon hinunter, und ein Forstaufseher war da, um Fragen zu beantworten. Ein Franzose, der den ganzen Weg von Frankreich hergekommen war, fragte den Aufseher in gebrochenem Englisch, ob viele Leute Selbstmord durch Hinunterspringen begingen.
»Ja, Sir « , sagte der Aufseher. »Etwa drei Leute im Jahr. « So geht das.
Und Billy machte eine sehr kurze Reise durch die Zeit, machte einen ganz kleinen Sprung von nur zehn Tagen, so daß er noch immer zwölf Jahre alt war, noch immer den amerikanischen Westen mit seiner Familie bereiste. Nun befanden sie sich in den Karlsbader Höhlen, und Billy betete zu Gott, er möge ihn hier wieder herauskommen lassen, ehe die Decke einstürzte.
Ein Aufseher erklärte, die Höhlen seien von einem Hüter entdeckt worden, der eine riesige Wolke von Fledermäusen aus einem Loch im Boden herauskommen sah. Und dann sagte er, er werde jetzt alle Lichter ausschalten, und vermutlich sei es das erste Mal im Leben der meisten anwesenden Leute, daß sie in totaler Finsternis waren.
Die Lichter gingen aus. Billy wußte nicht einmal, ob er noch am Leben war oder nicht. Und dann schwebte etwas Gespenstisches zu seiner Linken in der Luft. Es waren Zahlen darauf. Sein Vater hatte seine Taschenuhr herausgezogen. Die Uhr hatte ein Leuchtzifferblatt.
Billy kam aus der totalen Dunkelheit in totales Licht, fand sich wieder zurück im Krieg, zurück in der Entlausungsstation. Das Duschbad war zu Ende. Eine unsichtbare Hand hatte das Wasser abgedreht.
Als Billy seine Kleider zurückerhielt, waren sie um nichts sauberer, aber alle die kleinen Tiere, die darin gelebt hatten, waren tot. Und sein neuer Mantel war jetzt aufgetaut und geschmeidig. Er war viel zu klein für Billy. Er hatte einen Pelzkragen und war mit rotem Seidenstoff gefüttert und offenbar für einen Impresario gemacht worden, der ungefähr so groß war wie der Affe eines Drehorgelspielers. Er hatte zahlreiche Schußlöcher.
Billy Pilgrim zog sich wieder an. Er schlüpfte auch in den kleinen Mantel hinein. Er platzte am Rücken und in den Schultern, die Ärmel waren viel zu kurz.
So verwandelte sich der Mantel zu einer Weste mit Pelzkragen. Er hätte sich um den Leib seines Besitzers bauschen sollen, aber er bauschte sich unter Billys Achselhöhlen. Die Deutschen fanden ihn zum Schreien komisch, mehr als alles, was sie im ganzen zweiten Weltkrieg gesehen hatten. Sie lachten und lachten.
Und die Deutschen sagten allen anderen, sie sollten sich in Fünferreihen aufstellen, mit Billy als ihrem inneren Flügelmann. Dann ging die Parade hinaus ins Freie und wieder durch eine Sperre nach der anderen.
Es gab noch mehr verhungernde Russen mit Gesichtern wie beleuchtete Zifferblätter. Die Amerikaner waren jetzt lebendiger als zuvor. Das Aufputschen mit heißem Wasser hatte ihre Lebensgeister wieder geweckt. Und sie kamen zu einer Baracke, wo ein Unteroffizier mit nur einem Arm und nur einem Auge den Namen und die fortlaufende Nummer jedes Gefangenen in ein großes, rotes Hauptbuch schrieb.
Jedermann war jetzt ordnungsgemäß am Leben.
Bevor ihre Namen und Nummern in dieses Buch eingetragen worden waren, galten sie als vermißt und wahrscheinlich tot. So geht das.
Als die Amerikaner darauf warteten, weiterzugehen, brach in ihrer hintersten Reihe ein Streit aus. Ein Amerikaner hatte etwas gemurmelt, was einem Wachtposten mißfiel. Der Wachtposten verstand Englisch und zerrte den Amerikaner aus der Reihe und schlug ihn nieder.
Der Amerikaner war verblüfft. Wackelig auf den Beinen, rappelte er sich hoch und spuckte Blut. Zwei Zähne waren ihm ausgeschlagen worden. Er hatte offenbar nichts Böses beabsichtigt mit dem, was er gesagt hatte, und keine Ahnung gehabt, daß der Wachsoldat es hören und verstehen würde.
»Warum ich? « fragte er den Wachsoldaten.
Der Wachsoldat schob ihn in die Kolonne zurück.
»Varum du? Varum irgendver? « sagte er.
Als Billy Pilgrims Name in das Hauptbuch des Gefangenenlagers eingeschrieben war, bekam auch er eine Nummer, die in eine eiserne Hundemarke eingestanzt war. Ein Zwangsarbeiter aus Polen hatte die Prägung gemacht. Er war jetzt tot. So geht das.
Billy wurde gesagt, er solle sich diese Blechmarke zusammen mit seinen
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