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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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amerikanischen Erkennungsmarken um den Hals hängen, was er auch tat. Die Blechmarke war in der Mitte durchlocht wie ein Salzcracker, so daß ein kräftiger Mann sie mit bloßen Händen entzweibrechen konnte. Falls Billy starb — was er nicht tat —, würde die eine Hälfte der Marke seine Leiche und die andere sein Grab bezeichnen.
    Nachdem der arme Edgar Derby, der Hochschullehrer, später in Dresden erschossen worden war, erklärte ihn ein Arzt für tot und zerbrach seine Blechmarke in zwei Teile. So geht das.
     
    In das Hauptbuch eingeschrieben und mit einer Blechmarke versehen, wie es sich gehört, wurden die Amerikaner wieder durch eine Sperre nach der anderen geführt. In nunmehr zwei Tagen würden ihre Angehörigen durch das Internationale Rote Kreuz erfahren, daß sie noch am Leben waren.
    Nach Billy kam der kleine Paul Lazzaro, der versprochen hatte, er werde Roland Weary rächen.  Lazzaro dachte nicht an Rache. Er dachte an diese schrecklichen Leibschmerzen. Sein Magen war zu der Größe einer Walnuß zusammengeschrumpft. Dieser trockene, ausgedörrte Hautsack war wund wie ein Geschwür.
    Nach Lazzaro kam der arme, dem Untergang geweihte alte Edgar Derby mit seinen amerikanischen und deutschen Kennmarken, die er über seiner Kleidung wie eine Halskette zur Schau trug. Er hatte erwartet, daß er wegen seiner Klugheit und seines Alters Hauptmann oder Kompanieführer werden würde. Jetzt war er hier um Mitternacht an der tschechoslowakischen Grenze.
    »Halt! « befahl ein Wachsoldat.
    Die Amerikaner machten halt. Sie standen unbeweglich da in der Kälte. Die Baracken, zwischen denen sie standen, sahen nach außen hin wie tausend andere aus, an denen sie vorbeigekommen waren. Es bestand jedoch ein Unterschied: Die Baracken hatten blecherne Ofenrohre, und aus den Ofenrohren wirbelten ganze Sternbilder von Funken.
    Ein Wachsoldat klopfte an eine Tür.  Die Tür wurde von innen aufgestoßen. Licht loderte durch die Tür heraus, mit 186 000 Meilen Geschwindigkeit in der Sekunde dem Gefängnis entronnen. Heraus marschierten fünfzig Engländer mittleren Alters. Sie sangen »Hail, Hail, the Gang's All Here « aus Die Piraten von Penzance.

    Diese rüstigen, rotbackigen Sänger gehörten zu den ersten englischsprechenden Gefangenen aus dem zweiten Weltkrieg. Jetzt sangen sie fast bis zum Ende.  Vier Jahre oder noch länger hatten sie weder Frau noch Kind gesehen. Auch keine Vögel. Nicht einmal Spatzen verirrten sich in das Lager.
      Die Engländer waren Offiziere. Jeder von ihnen hatte mindestens einmal versucht, aus einem anderen Lager zu entfliehen. Jetzt waren sie hier, am toten Punkt in einem Meere von sterbenden Russen.
    Sie konnten unterirdische Gänge graben, soviel sie wollten. Unausweichlich würden sie innerhalb eines mit Stacheldraht umzäunten Rechtecks wieder an die Oberfläche kommen und sich teilnahmslos begrüßt finden von sterbenden Russen, die kein Wort Englisch sprachen, die kein Essen oder nützliche Informationen oder eigene Fluchtpläne hatten. Sie konnten sich soviel ausdenken, wie sie wollten, um sich auf einem Fahrzeug zu verstecken oder eines zu stehlen, aber nie kam jemals ein Fahrzeug in ihr Lager. Sie konnten sich krank stellen, wenn sie wollten, aber auch damit kamen sie um keinen Schritt weiter heraus. Das einzige Lazarett im Lager war eine sechsbettige Angelegenheit im britischen Gefangenenlager selbst.
    Die Engländer waren sauber, begeisterungsfähig, anständig und stark. Sie sangen gut und mit Hingabe.  Jahrelang hatten sie jeden Abend zusammen gesungen.

    Die Engländer hatten auch Jahre hindurch Gewichte gestemmt und Klimmzüge gemacht. Ihre Bäuche waren flach wie Waschbretter. Die Muskeln ihrer Waden waren wie Kanonenkugeln. Auch waren sie alle Meister im Damespiel, Schach, Bridge, Cribbage, Domino, bei Anagrammen, Silbenrätseln, Pingpong sowie Billard.
    Sie gehörten, was Lebensmittel anbetraf, zu dem wohlhabendsten Volk Europas. Ein Schreibfehler zu Anfang des Krieges, als Nahrungsmittel noch an die Gefangenen durchkamen, hatte das Rote Kreuz veranlaßt, jeden Monat fünfhundert statt fünfzig Pakete an sie zu senden. Die Engländer hatten diese so geschickt gehortet, daß sie jetzt, als der Krieg zu Ende ging, über drei Tonnen Zucker, eine Tonne Kaffee, elfhundert Pfund Schokolade, siebenhundert Pfund Tabak, siebzehnhundert Pfund Tee, zwei Tonnen Mehl, eine Tonne eingedostes Rindfleisch, zwölfhundert Pfund Büchsenbutter, sechzehnhundert Pfund Büchsenkäse,

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