Schlachthof 5
Kopfkissen eines Engländers stehlen wollte. Der Engländer hatte im Halbschlaf Lazzaros rechten Arm gebrochen und ihn bewußtlos geschlagen.
Der Engländer, der das getan hatte, half jetzt Lazzaro hereintragen. Er hatte flammend rotes Haar und keine Augenbrauen. In dem Theaterstück hatte er Aschenbrödels verhängnisvolle Stiefmutter gespielt. Jetzt stützte er einen Teil von Lazzaro mit einer Hand, während er mit der anderen die Tür hinter sich schloß. »Wiegt nicht mal soviel wie ein Küken « , meinte er.
Der Engländer, der Lazzaros Füße trug, war der Oberst, der Billy die K.o.-Spritze verpaßt hatte.
Die verhängnisvolle Stiefmutter war verlegen und auch ärgerlich.
»Wenn ich gewußt hätte, daß ich es mit einem Küken zu tun hatte « , sagte er, »hätte ich nicht so fest zugeschlagen. «
»Hm. «
Die verhängnisvolle Stiefmutter sprach offen davon, wie widerlich alle diese Amerikaner waren.
»Schwächlinge, übelriechend und sich selbst bemitleidend — eine Bande von rotznasigen, dreckigen, diebischen Saukerlen « , sagte er. »Sie sind noch schlimmer als die russischen Schmarotzer. «
»Scheinen wirklich ein schäbiger Haufen zu sein « , pflichtete der Oberst bei.
Jetzt kam ein deutscher Major herein. Er betrachtete die Engländer als vertraute Freunde. Er besuchte sie fast täglich, machte Spiele mit ihnen, hielt ihnen Vorträge über deutsche Geschichte, spielte auf ihrem Klavier und gab ihnen deutschen Konversationsunterricht. Er sagte ihnen oft, daß er ohne ihre gebildete Gesellschaft verrückt geworden wäre. Sein Englisch war einwandfrei. Er bat um Nachsicht, daß die Engländer die amerikanischen Unteroffiziere und Mannschaften bei sich aufnehmen mußten. Er versprach ihnen, daß sie nicht mehr als ein paar Tage damit behelligt werden würden, die Amerikaner kämen schon bald als Vertragsarbeiter nach Dresden.
Er hatte eine Monographie bei sich, die von der deutschen Vereinigung der Gefängnisbeamten veröffentlicht worden war. Es handelte sich dabei um einen Bericht über das Verhalten amerikanischer Mannschaften als Kriegsgefangene in Deutschland. Ein ehemaliger Amerikaner, der im deutschen Propagandaministerium einen hohen Posten erlangt hatte, hatte ihn verfaßt. Er hieß Howard W. Campbell jr. Später erhängte er sich, als ihm als Kriegsverbrecher der Prozeß gemacht wurde.
Während der britische Oberst Lazzaros gebrochenen Arm einrichtete und Gips für den Verband anrührte, übersetzte der Major laut Stellen aus Howard W. Campbells jr. Monographie. Campbell war seinerzeit ein ziemlich bekannter Bühnenschriftsteller gewesen. Seine einleitenden Zeilen lauteten:
Amerika ist die wohlhabendste Nation der Erde, aber seine Bevölkerung ist in der Hauptsache arm, und arme Amerikaner werden dazu getrieben, sich selbst zu verabscheuen. Um den amerikanischen Humoristen zu zitieren: »Es ist keine Schande, arm zu sein, aber es könnte ebensogut eine sein. « Es ist tatsächlich ein Verbrechen für einen Amerikaner, arm zu sein, und zwar obschon Amerika eine Nation von Armen ist.
Jede andere Nation hat Volksüberlieferungen von Menschen, die arm, aber äußerst klug und tugendhaft und deshalb achtbarer waren, als irgendwer mit Macht und Gold. Solche Erzählungen gibt es nicht unter den amerikanischen Armen. Sie spotten ihrer selbst und verherrlichen die ihnen finanziell Überlegenen. Das schäbigste Eß- oder Trinklokal, das einem Mann, der selbst arm ist, gehört, hat höchstwahrscheinlich ein Plakat an der Wand hängen, auf dem die grausame Frage gestellt wird: »Wenn du so schlau bist, warum bist du dann nicht reich? « Auch wird eine amerikanische Flagge, nicht größer als eine Kinderhand, an einem Lutschbonbonstöckchen befestigt sein und von der Registrierkasse wehen.
Von dem Verfasser der Monographie, einem Mann aus Schenectady, New York, behaupteten einige, er habe den höchsten Intelligenzquotienten von allen Kriegsverbrechern gehabt, denen ein Tod am Galgen bevorstand. So geht das.
Die Amerikaner glauben, wie die Menschen überall, viele Dinge, die offensichtlich unwahr sind, hieß es in der Monographie weiter. Ihre verderbliche Unwahrheit ist, daß es für jeden Amerikaner sehr leicht sei, Geld zu verdienen. Sie wollen nicht zugeben, wie schwer es in Wirklichkeit ist, zu Geld zu kommen, und deshalb geben sich diejenigen, die kein Geld haben, immerfort selbst die Schuld. Dieses innere Sich-selbst die Schuld-Geben war ein Schatz für die Reichen und
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