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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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weiter.
    Also löste der Russe eine verhakte Stelle nach der anderen, und die Vogelscheuche tanzte wieder in die Nacht hinaus, ohne ein Wort des Dankes.
    Der Russe winkte ihm und rief ihm auf russisch »Lebe wohl! « nach.

    Billy zog dort in der Gefängnisnacht seinen Specht heraus und pinkelte und pinkelte auf den Boden. Dann steckte er ihn wieder mehr oder weniger weg und stellte Betrachtungen über ein neues Problem an: Von woher war er gekommen, und wo sollte er jetzt hingehen? Irgendwo in der Nacht ertönten jammervolle Schreie. Da er nichts Besseres zu tun hatte, schlenderte Billy in die Richtung. Er fragte sich, welche Tragödie so viele dazu gebracht haben konnte, unter freiem Himmel zu wehklagen.
    Billy näherte sich, ohne daß er es merkte, der Rückseite der Latrine. Diese bestand aus einer Querstange mit zwölf Kübeln darunter. Die Stange war auf drei Seiten von einer Schutzwand aus Gerumpel und flachgeklopften Konservendosen abgeschirmt.
    Die offene Seite lag der geteerten Pappwand der Baracke gegenüber, in der das Fest stattgefunden hatte.
    Billy ging an der Schutzwand entlang und erreichte die Stelle, wo er eine frisch auf die Pappwand gepinselte Botschaft sehen konnte. Die Worte waren mit derselben rosa Farbe gemalt, die das Bühnenbild von Aschenbrödel verschönt hatte. Billys Wahrnehmungsvermögen war so wenig zuverlässig, daß er die Worte wie in der Luft hängend sah, vielleicht auf einen transparenten Vorhang gemalt. Und hübsche silberne Punkte glitzerten auf dem Vorhang. In Wirklichkeit waren es Nagelköpfe, mit denen die Dachpappe an der Baracke festgemacht war. Billy konnte sich nicht vorstellen, wie der Vorhang im Leeren gehalten wurde, und er nahm an, daß der magische Vorhang und das theatralische Wehklagen zu einer religiösen Zeremonie gehörten, von der er nichts wußte.
    Das war die Botschaft:
     
    Bitte verlasst die Latrine ebenso sauber wie ihr sie vorgefunden habt!
     
    Billy schaute in die Latrine hinein. Das Jammern kam von dort drinnen. Der Ort war überfüllt mit Amerikanern, die ihre Hose heruntergelassen hatten.
    Das Willkommensfest hatte sie so krank wie Vulkane gemacht. Die Eimer waren voll oder umgestoßen worden.
    Ein Amerikaner in Billys Nähe klagte, daß er alles von sich gegeben habe, außer seinem Hirn. Augenblicke später setzte er hinzu: »Da geht es dahin, da geht es dahin! « Er meinte sein Hirn.
    Das war ich. Ich war das. Das war der Verfasser dieses Buches.

    Billy wankte von seiner Vision der Hölle weg. Er kam an drei Engländern vorbei, welche die Scheißorgie aus einiger Entfernung beobachteten. Sie waren wie erstarrt vor Ekel.
    »Knöpf deine Hose zu! « rief einer, als Billy vorbeiging.
    Also knöpfte Billy seine Hose zu. Zufällig geriet er an die Tür des kleinen Lazaretts. Er ging durch die Tür und befand sich wieder in den Flitterwochen, wie er in Cape Ann aus dem Badezimmer zurück ins Bett zu seiner Braut ging.

    »Du hast mir gefehlt « , sagte Valencia.
    »Du hast mir auch gefehlt « , sagte Billy Pilgrim.
    Billy und Valencia schliefen ein, eng aneinander geschmiegt wie Löffel, und Billy reiste in der Zeit zurück zu der Bahnfahrt, die er 1944 von den Truppenübungen in South Carolina zum Begräbnis seines Vaters in Ilium gemacht hatte. Damals hatte er weder Europa noch Kampfhandlungen gesehen. Es war noch zur Zeit der Dampflokomotiven.
    Billy mußte häufig den Zug wechseln. Alle diese Züge waren langsam. In den Wagen stank es nach Kohlenrauch, rationiertem Tabak, rationiertem Schnaps und den Fürzen von Leuten, die eine kriegszeitgemäße Ernährung hatten. Die Polsterung der eisernen Sitze war rauh, und Billy konnte nicht viel schlafen. Vor dem Eingang zum vollbesetzten Speisewagen fiel er, die Beine gespreizt, in gesunden Schlaf, als er nur mehr drei Stunden von Ilium entfernt war.
    Der Schaffner weckte ihn, als der Zug in Ilium ankam. Billy wankte mit seinem Segeltuchsack davon, und dann stand er auf dem Bahnsteig neben dem Schaffner und versuchte, wach zu werden.
    »Ein gutes Nickerchen gemacht, was? « fragte der Schaffner.
    »Ja « , sagte Billy.
    »Menschenskind « , sagte der Schaffner, »Sie hatten aber einen Ständer! «
     
    Um drei Uhr morgens, in Billys Morphiumnacht im Gefängnis, wurde ein neuer Patient von zwei kräftigen Engländern ins Lazarett gebracht. Er war ungewöhnlich schmächtig. Es war Paul Lazzaro, der mit Wundnarben gesprenkelte Autodieb aus Cicero, Illinois. Er war ertappt worden, als er Zigaretten unter dem

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