Schlachthof 5
ihnen, daß sie Gehorsam und Achtung von den großen, herausfordernden, mörderischen amerikanischen Infanteristen ernteten, die geradewegs von all dem Töten an der Front gekommen waren.
Und dann erblickten sie den bärtigen Billy Pilgrim in seiner blauen Toga und den silbernen Schuhen, mit den Händen in einem Muff. Er sah wie mindestens sechzig Jahre alt aus. Neben Billy stand der kleine Paul Lazzaro mit einem gebrochenen Arm. Er schäumte wie tollwütig. Neben Lazzaro war der arme, alte Hochschullehrer Edgar Derby, traurig erfüllt von Patriotismus, mittlerem Alter und imaginärer Weisheit. Und so weiter.
Die acht lächerlichen Dresdner stellten fest, daß diese hundert lächerlichen Geschöpfe wirklich amerikanische Kämpfer frisch von der Front waren. Sie lächelten — und dann lachten sie. Ihre Furcht löste sich auf. Hier gab es nichts zu befürchten. Hier waren noch mehr invalide Menschen, noch mehr Narren wie sie selbst. Es war das reinste Operettentheater.
So marschierte das Operettentheater aus dem Tor des Rangierbahnhofs und in die Straßen Dresdens hinaus. Billy Pilgrim war die Hauptnummer. Er führte den Zug an. Tausende von Menschen waren auf den Bürgersteigen und gingen von der Arbeit nach Hause.
Sie waren aufgeschwemmt und wächsern, da sie während der vergangenen zwei Jahre hauptsächlich Kartoffeln gegessen hatten. Sie hatten, außer dem milden Tag, keine Freuden erhofft. Plötzlich gab es nun hier diesen Ulk.
Billy erhaschte nicht viele von den Blicken, die ihn so spaßig fanden. Er war entzückt von dem Baustil der Staat. Heitere Amoretten wanden Girlanden über Fenster. Schelmische Faune und nackte Nymphen guckten von Gesimsen, die mit Blumengewinden verziert waren, auf Billy herunter. Steinerne Affen tollten zwischen Schnörkelverzierungen, Muscheln und Bambus umher.
Billy mit seinen Zukunftserinnerungen wußte, daß die Stadt in etwa dreißig weiteren Tagen in Schutt und Asche gelegt würde. Er wußte auch, daß die meisten der ihn beobachtenden Leute bald nicht mehr am Leben sein würden. So geht das.
Und Billy vergrub beim Marschieren seine Hände tief im Muff. Seine Fingerspitzen, die in der warmen Dunkelheit des Muffs wühlten, wollten wissen, was die zwei Klümpchen im Futter des Impresariomantels waren. Die Fingerspitzen drangen in das Futter ein. Sie befühlten die Klümpchen, das erbsengroße und das hufeisenförmige Ding. Der Zug mußte an einer verkehrsreichen Ecke halten. Die Verkehrsampel zeigte rotes Licht.
Dort an der Ecke, in der vorderen Reihe der Fußgänger, stand ein Chirurg, der den ganzen Tag operiert hatte. Er war ein Zivilist, aber seine Haltung war militärisch. Er hatte in zwei Weltkriegen gedient.
Billys Anblick beleidigte ihn, besonders nachdem er von der Begleitmannschaft erfahren hatte, daß Billy ein Amerikaner war. Es schien ihm, daß Billy eine abscheuliche Geschmacklosigkeit beging, denn er nahm an, Billy habe sich viel dumme Mühe gemacht, um sich so zu kostümieren.
Der Chirurg sprach Englisch und sagte zu Billy:
»Ich nehme an, Sie finden den Krieg eine sehr komische Sache. «
Billy sah ihn verständnislos an. Er hatte im Augenblick aus den Augen verloren, wo er sich befand oder wie er dort hingeraten war. Er hatte keine Ahnung, daß die Leute glaubten, er spiele den Hanswurst.
Es war natürlich das Schicksal, das ihn kostümiert hatte — das Schicksal und ein schwacher Überlebenswille.
»Haben Sie erwartet, daß wir lachen? « fragte ihn der Chirurg.
Der Chirurg verlangte eine Art von Satisfaktion.
Billy war verwirrt. Billy wollte freundlich sein, helfen, wenn er konnte, aber seine Mittel waren bescheiden. Seine Finger hielten jetzt die zwei Gegenstände aus dem Mantelfutter. Billy beschloß, dem Chirurgen zu zeigen, was sie waren.
»Sie glaubten, daß wir Vergnügen daran finden würden, uns verspotten zu lassen? « sagte der Chirurg.
»Und sind Sie stolz darauf, Amerika so zu vertreten, wie Sie es tun? «
Billy zog eine Hand aus dem Muff und hielt sie dem Chirurgen unter die Nase. Auf seinem Handteller lag ein zweikarätiger Diamant und ein Stück von einer Zahnprothese. Die Prothese war ein häßliches kleines Kunstprodukt.— aus Silber, Perle und Mandarine. Billy lächelte.
Der Zug tänzelte, wankte und taumelte zum Tor des Dresdner Schlachthofes und ging dann hinein. Der Schlachthof war kein geschäftiger Ort mehr. Beinahe alle Huftiere in Deutschland waren von Menschen — meist Soldaten — getötet, gegessen
Weitere Kostenlose Bücher