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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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verdammt dafür Sorge zu tragen, daß jedermann wohlbehalten in die Heimat zurück kam.
    »Leck mich doch am Arsch « , murmelte Paul Lazzaro in seinem himmelblauen Nest. »Verkrümel dich und laß uns in Ruh! «

    Die Temperatur stieg erstaunlich an diesem Tag. Um die Mittagszeit war es mild. Die Deutschen brachten Suppe und Brot in zweiräderigen Karren, die von Russen geschoben wurden. Der Engländer sandte Bohnenkaffee, Zucker, Marmelade, Zigaretten und Zigarrren herüber, und die Türen des Theaters wurden offen gelassen, damit die Wärme hereinkommen konnte.
    Die Amerikaner begannen sich jetzt viel besser zu fühlen. Sie konnten ihr Essen bei sich behalten. Und dann war es Zeit, nach Dresden aufzubrechen. Die Amerikaner marschierten leidlich stramm aus dem britischen Lager. Billy Pilgrim führte wieder den Zug an. Er hatte jetzt silberne Stiefel, einen Muff und ein Stück himmelblauen Vorhang, das er wie eine Toga trug. Billy hatte noch einen Bart. Ebenso der arme alte Edgar Derby, der neben ihm ging. Derby schrieb im Geist Briefe nach Hause, seine Lippen arbeiteten zitternd:
    Liebe Margaret — wir brechen heute nach Dresden auf. Mach dir keine Sorgen. Es wird nie bombardiert werden. Es ist eine offene Stadt. Heute mittag fand eine Wahl statt, und rätst du was ? Und so weiter.
     
    Sie kamen wieder zum Gefängnisrangierbahnhof.
    In nur zwei Wagen waren sie angekommen. Sie würden weit bequemer in vier abfahren. Sie erblickten den toten Landstreicher wieder. Steif gefroren lag er im Unkraut neben den Schienen. In der Stellung eines Fötus; sogar im Tod versuchte er, sich eng wie ein Löffel an andere anzuschmiegen. Jetzt waren aber keine anderen da. Er schmiegte sich an dünne Luft und Asche. Jemand hatte seine Schuhe genommen.  Seine nackten Füße waren blau und elfenbeinfarben. Sein Zustand des Totseins war irgendwie ganz in Ordnung. So geht das.
     
    Die Fahrt nach Dresden war ein Spaß. Sie dauerte nur zwei Stunden. Geschrumpfte kleine Mägen waren voll. Sonnenschein und milde Luft drangen durch die Lüftungsklappen herein. Es gab viel zu rauchen, dank den Engländern.
    Die Amerikaner kamen um fünf Uhr nachmittags in Dresden an. Die Türen der Güterwaggons wurden aufgerissen, und die Türöffnungen rahmten die bezauberndste Stadt ein, welche die meisten Amerikaner jemals gesehen hatten. Die sich am Himmel abhebende Silhouette mit ihren Kuppeln und Spitztürmen war üppig, zauberisch und absurd. Es sah für Billy Pilgrim wie ein Bild des Himmels aus der Sonntagsschule aus.
    Jemand hinter ihm in dem Güterwagen sagte: »Wie im Freilichtkino. « Das war ich. Das war der meinige.
    Die einzige andere Stadt, die ich jemals gesehen hatte, war Indianapolis, Indiana.

    Jede andere Großstadt in Deutschland war grausamen Luftangriffen ausgesetzt gewesen und in Brand geschossen worden. Dresden hatte noch nicht einmal so viel wie eine zerbrochene Fensterscheibe erleiden müssen. Die Sirenen ertönten jeden Tag, heulten höllisch, und die Leute gingen in die Keller hinunter und warteten dort auf die Entwarnung. Die Flugzeuge hatten immer einen anderen Ort zum Ziel — Leipzig, Chemnitz, Flauen, Orte wie diese. So geht das.
     
    Fröhlich pfiffen noch Dampfheizungskörper in Dresden. Straßenbahnen ratterten. Telefone klingelten und wurden beantwortet. Lichter gingen an und aus, wenn Schalter betätigt wurden. Es gab Theater und Restaurants. Es gab einen Zoo. Die Hauptindustrien der Stadt bestanden in der Herstellung von Medikamenten, Nahrungsmitteln und Zigaretten.
    Die Leute gingen jetzt am Spätnachmittag von der Arbeit heim. Sie waren müde.

    Acht Dresdner überquerten die Stahlspaghetti des Rangierbahnhofs. Sie trugen neue Uniformen. Am Tag zuvor waren sie zum Militärdienst vereidigt worden. Es waren halbe Kinder und Männer, die über das mittlere Alter hinaus waren, und zwei Kriegsteilnehmer, die man in Rußland zuschanden geschossen hatte. Ihre Aufgabe bestand darin, hundert amerikanische Kriegsgefangene zu bewachen, die als Akkordarbeiter eingesetzt werden sollten. Ein Großvater und sein Enkel befanden sich unter der Wachmannschaft. Der Großvater war ein Architekt.  
    Die acht machten finstere Mienen, als sie sich den Güterwagen mit ihren Häftlingen näherten. Sie wußten, wie sehr sie selbst den Eindruck von elenden und närrischen Soldaten machten. Einer von ihnen hatte sogar ein künstliches Bein und trug nicht nur ein geladenes Gewehr, sondern auch einen Stock. Trotzdem — man erwartete von

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