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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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flüsterte ihr seine Adresse ins Ohr: »Schlachthof 5. «

    Billy wurde auf einem Schlitten vom Sugarbushberg hinuntergebracht. Die Puppen lenkten den Schlitten mit Stricken und jodelten melodisch, um freie Bahn zu haben. Unweit der Talsohle schwang die Bahn um die Pfeiler eines Sessellifts. Billy schaute hinauf zu all den jungen Leuten in ihrer grellen, elastischen Kleidung, in riesigen Skistiefeln und mit schneebeschlagenen Schutzbrillen, wie sie in gelben Sesseln durch die Luft schwebten. Er nahm an, daß sie zu einer erstaunlichen neuen Phase des zweiten Weltkrieges gehörten. Es sollte ihm recht sein. Billy war so ziemlich alles recht.

    Er wurde in ein kleines Privatkrankenhaus gebracht. Ein berühmter Gehirnchirurg kam von Boston und operierte an ihm drei Stunden lang. Danach war Billy zwei Tage bewußtlos und träumte Millionen Dinge, einige davon wahr. Die wahren Dinge waren Reisen in der Zeit.

    Eines der wahren Dinge war sein erster Abend im Schlachthof. Er und der arme, alte Edgar Derby schoben einen leeren, zweirädrigen Karren einen ungepflasterten Weg zwischen leeren Viehverschlägen entlang. Sie gingen zu einer Volksküche, um das Abendessen für alle zu holen. Sie wurden von einem sechzehnjährigen Deutschen namens Werner Gluck bewacht. Die Achsen des Karrens waren mit dem Fett toter Tiere geschmiert. So geht das.
     
    Die Sonne war gerade untergegangen, und ihr Abendglanz erleuchtete die Stadt, die niedrige Klippen um den idyllischen leeren Raum zu den unbenutzten Viehställen bildete. Die Stadt war verdunkelt, da Bombenflugzeuge kommen könnten, so sah Billy Dresden nicht eines der freundlichen Dinge tun, die eine Stadt tun kann, wenn die Sonne untergeht — nämlich ihre Lichter eines nach dem anderen aufflammen zu lassen.
    Es gab einen breiten Fluß, um diese Lichter widerzuspiegeln; er hätte ihr nächtliches Flimmern besonders reizvoll gemacht. Das war die Elbe.
    Werner Gluck, der junge Wachsoldat, war ein Dresdner Junge. Er war nie zuvor im Schlachthof gewesen, daher war er nicht sicher, wo die Küche war.  Er war hochaufgeschossen und schwach wie Billy, er hätte ein jüngerer Bruder von ihm sein können. Tatsächlich waren sie entfernte Vettern, was sie nie herausgefunden haben. Gluck war mit einer unglaublich schweren Muskete bewaffnet, einem Museumsstück mit nur einer Patrone im Magazin und einem achtkantigen, glatten Lauf. Er hatte sein Seitengewehr aufgepflanzt. Es war wie eine lange Stricknadel. Es hatte keine Blutrillen.
    Gluck führte sie zu einem Gebäude, von dem er glaubte, daß darin die Küche sein könnte, und öffnete die Schiebetür an der Seite. Es war jedoch keine Küche drin. Vielmehr gab es eine Umkleidekabine, die an einen gemeinschaftlichen Duschraum voller Dampf angrenzte. In den Dampfwolken standen an die dreißig sehr junge Mädchen. Sie waren deutsche Flüchtlinge aus Breslau, das unter schweren Bombenangriffen gelitten hatte. Auch sie waren gerade in Dresden angekommen. Dresden war vollgestopft mit Flüchtlingen.
    Da standen diese Mädchen, alle ihre intimen Körperteile entblößt, für jedermann sichtbar. Und dort in der Türöffnung standen Gluck, Derby und Pilgrim — der kindliche Soldat, der arme, alte Hochschullehrer und der Hanswurst in seinen silbernen Schuhen—und starrten. Die Mädchen kreischten. Sie bedeckten sich mit ihren Händen, drehten den Rücken zu und so weiter — und machten sich äußerst schön.
    Werner Gluck, der nie zuvor eine nackte Frau gesehen hatte, schloß die Tür. Billy hatte ebenfalls noch nie eine gesehen. Für Derby war es nichts Neues.

    Als die drei Narren die Volksküche fanden, deren Hauptaufgabe es war, das Mittagessen für die Arbeiter im Schlachthof zu bereiten, war jedermann heimgegangen, ausgenommen eine Frau, die ungeduldig auf sie gewartet hatte. Sie war eine Kriegerwitwe.  So geht das.
     
    Sie hatte bereits Hut und Mantel an. Auch sie wollte heimgehen, obwohl dort niemand war. Ihre weißen Handschuhe lagen nebeneinander auf der Zinkplatte des Tisches für die Speisenausgabe.
    Sie hatte zwei große Kannen mit Suppe für die Amerikaner hergerichtet. Sie kochte bei kleiner Flamme auf dem Gasring. Sie hatte auch eine Menge Schwarzbrotlaibe.
    Sie fragte Gluck, ob er nicht schrecklich jung sei, um beim Heer zu sein. Er gab zu, daß er das sei.
    Sie fragte Edgar Derby, ob er nicht schrecklich alt sei, um beim Heer zu sein. Er sagte, ja, das sei er.
    Sie fragte Billy Pilgrim, was er vorstellen sollte.  Billy antwortete,

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