Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Alternative vorschlagen, entschied mich jedoch dagegen, weil ich instinktiv begriff, dass es ebenso zwecklos sein würde, Alisons Bruder zu widersprechen wie Alison selbst. Ein Nein zu akzeptieren war offenbar keine Familientugend.
    »Für Dezember ist es ungewöhnlich heiß«, bemerkte ich müßig, als wir nebeneinander die Straße hinunterschlenderten und die Hitze sich auf meine Schultern legte wie ein kratziger Schal. Aber Lance hörte mir gar nicht zu, sondern ließ seinen Blick nervös von einer Straßenseite zur anderen huschen,
als befürchtete er, dass irgendwer hinter einer der penibel gestutzten Hecken lauern und sich auf uns stürzen könnte. »Suchen Sie irgendwas Bestimmtes?«
    »Was für ein Baum ist das?«, fragte er plötzlich, und sein Finger streifte meine Nase, als er auf eine gedrungene Palme im Vorgarten meines Nachbarn zeigte. »Sieht aus, als würde ein Bündel Schwänze dranhängen.«
    »Wie bitte?«
    Lance rannte in den Vorgarten meines Nachbarn, hockte sich neben den fraglichen Baum und wies auf eine Reihe verschieden langer Auswüchse, die von seinem Stamm herabhingen. »Finden Sie nicht, dass die aussehen wie unbeschnittene Schwänze? Schauen Sie genau hin.«
    »Sie sind verrückt.« Widerwillig betrachtete ich den Baum. »O mein Gott. Sie haben Recht.«
    Lance lachte so laut, dass er den Silberreiher erschreckte, der sich anmutig in die Lüfte erhob und wie ein Papierflugzeug davonschwebte. »Ist die Natur nicht großartig?«
    »Das sind Schraubenpalmen«, flüsterte ich.
    »Was?«
    »Sie haben mich sehr gut verstanden.«
    »Sie wollen mich verarschen, oder?«
    »Nein ehrlich, die heißen so.«
    »Vogelpalmen wäre irgendwie passender. Schraubenpalmen?«
    »So etwas könnte ich mir doch unmöglich ausdenken.«
    Lance schüttelte den Kopf, fasste meinen Ellenbogen und begann schneller zu gehen. »Kommen Sie«, sagte er lachend. »Von dem ganzen Gerede über Schrauben, Schwänze und vögeln hab ich richtig Hunger gekriegt.«
     
    »Sie hätten die Stadt vor zwanzig Jahren sehen sollen«, sagte ich zwischen zwei Bissen von meinem Hamburger. »Die Hälfte der Läden stand leer, die Schulen waren eine Katastrophe,
die Rassenbeziehungen auf dem Tiefpunkt. Der Drogenhandel war ungefähr das Einzige, was noch florierte.«
    »Tatsächlich?« Zum ersten Mal seit Beginn meiner kleinen Einführung in unsere Stadt zeigte Lance ernsthaft Interesse. »Und wie läuft der Drogenhandel dieser Tage so?«, fragte er mit einem Blick auf die Reihe von Motorrädern, die vor der Terrasse parkten, auf der wir saßen. »Ich meine, wohin würde man gehen, wenn man sich für so etwas interessiert?«
    »Ins Gefängnis höchstwahrscheinlich«, sagte ich, und Lance verzog seine Lippen zu einem widerwilligen Lächeln.
    »Süß. Sie sind wirklich süß.«
    Nun war es an mir zu lächeln. Süß war noch niemanden spontan in den Sinn gekommen, um mich zu beschreiben.
    Wir beobachteten einen Mann mittleren Alters mit schwarzer Lederjacke und grauem Pferdeschwanz, der seinen schlaffen Hintern zwischen zwei Stühlen hindurchzwängte. Opas auf Rädern, dachte ich, biss erneut in meinen Hamburger und fragte mich, wie irgendjemand bei dieser Hitze Leder tragen konnte. »Inzwischen hat sich die Stadt natürlich vollkommen verändert.«
    »Und wodurch genau?«
    Ich schwankte zwischen einer kurzen und einer langen Antwort und entschied mich für die kurze. »Geld.«
    Lance lachte. »Ah ja. Geld regiert die Welt.«
    »Ich dachte immer, es wäre die Liebe.«
    »Das liegt daran, dass Sie hoffnungslos romantisch sind.«
    »Bin ich das?«
    »Etwa nicht?«
    »Vielleicht«, gab ich zu und wand mich unter seinem unvermittelt prüfenden Blick. »Vielleicht bin ich romantisch.«
    »Vergessen Sie nicht hoffnungslos.« Er streckte die Hand aus und strich mir sanft, aber selbstsicher eine schweißnasse Strähne aus der Stirn, als würde er einen BH-Träger von meiner Schulter streifen.

    Ich senkte den Blick und spürte den Druck seine Fingerspitzen noch, als er seine Hand schon wieder zurückgezogen hatte. »Und was ist mit Ihnen?«
    Er führte eines der vor Soße triefenden Spareribs zum Mund und löste das Fleisch mit einem glatten Biss ab. »Nun ja«, sagte er augenzwinkernd, »ich liebe Geld. Zählt das auch?«
    Ich nippte an meinem Bier, hielt das eiskalte Glas an meinen Hals und versuchte, die Schweißtropfen zu ignorieren, die in den Ausschnitt meines weißen T-Shirts kullerten.
    »Wow! Schauen Sie sich die beiden Babys an!«, rief

Weitere Kostenlose Bücher