Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
begann, wenn überhaupt ein Körnchen Wahrheit in alldem steckte, was sie mir erzählt hatte.
Und welchen Unterschied machte die Wahrheit schon?
Rückblickend erkenne ich, dass Alisons großes Talent in ihrer geradezu unheimlichen Fähigkeit lag, mich an mir selber zweifeln zu lassen, zu hinterfragen, was nicht hinterfragbar war, mich Dinge sehen zu lassen, die eigentlich gar nicht da waren.
Und Dinge nicht zu sehen, die da waren.
Trotz allem musste ich mich immer wieder daran erinnern, dass Alison nicht die nette junge Frau war, die ich in meinem Leben willkommen geheißen hatte, sondern eine Lügnerin, eine Betrügerin und möglicherweise sogar eine kaltblütige Mörderin. Ich war nicht ihre Freundin – ich war ihr Opfer, ein sorgfältig ausgewähltes dazu. Und den Notizen in ihrem Tagebuch nach zu schließen, war ich nicht die erste Frau, die sie getäuscht hatte. Was war mit den anderen geschehen?
Und warum?
Das war die Frage, auf die ich keine Antwort fand, die mich die halbe Nacht wach liegen und mich unruhig von einer Seite auf die andere wälzen ließ. Nicht wann Alison und ihre Kohorten wieder zuschlagen würden, sondern warum?
Warum ?
Worauf hatte sie es abgesehen?
Was willst du von mir , hätte ich sie fragen sollen. Warum hast du mich ausgesucht und alles daran gesetzt, meine Freundin zu werden ? Was besitze ich deiner Meinung nach, was von irgendeinem Wert wäre ?
Wozu das Ganze?
Wie meinst du das , hätte sie garantiert geantwortet, mit flatternden Händen, ihre grünen Augen verwirrt aufgerissen. Ich weiß nicht, wovon du redest .
In meinen weniger schwermütigen Momenten sagte ich mir, dass ich außer Gefahr war, dass ich ihren kleinen Plan mit meinem Befehl, mein Grundstück zu räumen, und der Drohung, die Polizei anzurufen, wenn sie bis Ende der Woche nicht weg war, vereitelt hatte. Doch in meinen düsteren Augenblicken erkannte ich, dass ich nur einen kurzen Aufschub erreicht hatte, eine geringfügige Änderung ihrer Pläne, dass Alison schlicht auf Zeit spielte und genau den richtigen Moment abwartete, wieder auf mich loszugehen.
Jedenfalls verstrichen mehrere Tage ereignislos. Alison unternahm keine weiteren Versuche, mit mir zu reden, und der weiße Lincoln verschwand von der Straße. Ich ging zur Arbeit, kümmerte mich um meine Patienten und schaffte es beinahe zu glauben, dass das Schlimmste vorüber war.
Am Morgen des 4. Januar machte ich mich gerade für die Arbeit fertig, als mein Telefon klingelte. Ich wusste, dass Josh am Vorabend aus Kalifornien zurückgekehrt war, und hatte schon die ganze Zeit auf seinen Anruf gewartet. Ich blickte in den Spiegel über der Kommode, versuchte, mich mit Joshs Augen zu betrachten, und sah, dass Alisons Schnitt langsam
auswuchs und nachgestutzt werden musste. Ungeduldig strich ich die Haare hinter die Ohren, kniff mir in die Wangen, um ihnen ein bisschen mehr Farbe zu geben, ging zum Telefon und wartete ein weiteres Klingeln ab, damit es nicht so wirkte, als hätte ich wartend neben dem Telefon gesessen. »Hallo«, sagte ich heiser, als wäre ich gerade erst aufgewacht, obwohl ich schon seit Stunden auf den Beinen war.
»Frohes neues Jahr, lässt Erica Ihnen ausrichten«, verkündete die Stimme.
»Gehen Sie zum Teufel!«, gab ich zurück und wollte wieder auflegen.
»Ich glaube, Sie haben etwas, was ihr gehört«, fuhr die Stimme unbeirrt fort.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Ich denke, dass wissen Sie wohl.«
»Sie irren. Ich habe keine Ahnung, was Sie wollen.«
»Sie hätte es gern zurück.«
»Was hätte sie gern zurück?« Ich hörte, wie die Verbindung beendet wurde. »Warten Sie! Was soll das heißen, dass ich etwas habe, was Erica gehört? Warten Sie!«, brüllte ich weiter, obwohl ich längst wusste, dass der Anrufer aufgelegt hatte.
Was um alles in der Welt konnte ich haben, was Erica gehörte?
Und dann fiel mir plötzlich die Kette ein. Der herzförmige Anhänger, den Alison unter ihrem Bett gefunden und stolz getragen hatte, bis ich ihr eine eigene Kette gekauft hatte. Doch er konnte nicht mehr als ein paar hundert Dollar wert sein, was Ericas Mietschulden nicht einmal annähernd deckte. Außerdem hatte sie auf mich nie einen besonders sentimentalen Eindruck gemacht. Andererseits war ich ein miserabler Menschenkenner, dachte ich, als ich mich daran erinnerte, wie leicht ich mich von Alison hatte täuschen lassen.
Meine Gedanken rasten und überschlugen sich wie Meereswogen.
Was war die Verbindung zwischen
Weitere Kostenlose Bücher