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Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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Zeitreise.
    Abend für Abend waren sie damals mit ihren Mopeds hergefahren. Hatten Bier getrunken, Pläne für die Zukunft geschmiedet, Wettrennen gemacht, mit Luftgewehren auf Bierflaschen geschossen. Nichts Ausgefallenes, nur das, was man in der Provinz eben machte. Trotzdem war es eine großartige Zeit gewesen. Sie hatten eine eingeschworene Gemeinschaft gebildet. Wolfgang war dabei gewesen, der heute irgendwo in Frankfurt als Investmentbanker arbeitete. Und Gerd, der kurze Zeit später mit nur fünfundzwanzig Jahren betrunken am Badewannenrand abgerutscht war und sich dabei das Genick gebrochen hatte. Mechthild und Marion, die beiden Schwestern, die immer das Marihuana besorgt hatten und von denen er seit damals nie wieder etwas gehört hatte. Und Olaf, der immer noch jedes Jahr zu Weihnachten Karten schrieb, auch nach dreißig Jahren, obwohl es Böttger nie geschafft hatte, zurückzuschreiben. Die Piste, der Wald, das alte Gebäude. Er konnte nicht genug schauen. Nichts hatte sich verändert.
    Hier hatte er Renate kennengelernt. Bernd hatte sie eines Abends mitgebracht. Er war sofort fasziniert gewesen von ihr. Keine Tussi, wie viele der anderen Frauen. Nein, Renate war eine trinkende, rauchende und fluchende Frau, mit einer henna gefärbten Mähne und einem lauten und derben Humor. Als sie an diesem Abend zu einer Disko nach Paderborn weiterfahren wollten und Renate nicht wusste, wie sie dahin kommen sollte, da hatte er, ohne zu zögern, gerufen: »Bei mir auf dem Moped ist noch ein Platz frei.« Und Renate hatte ihr Haar über die Schulter geworfen, ihn von oben bis unten gemustert und mit einem frechen Grinsen zurückgerufen: »Dann rutsch schon mal nach hinten. Ich komme gleich.« Das war der Moment gewesen, in dem es um ihn geschehen war.
    Ein ICE tauchte zwischen den Bäumen auf und schoss durch das Tal. Böttger wurde aus seinen Tagträumen gerissen. Es dauerte, bis er begriff: Der Zug passte nicht hierher. Viel zu futuristisch. Alles andere sah aus wie vor dreißig Jahren. Nur die Waggons der Bahn waren damals ganz andere gewesen. Dieser ICE brachte ihn völlig durcheinander.
    Böttger sah sich um. War wirklich so viel Zeit vergangen seit damals? Eine seltsame Traurigkeit erfasste ihn.
    Das Handy machte sich bemerkbar. Er wandte sich vom Tal ab und zog es hervor. Noch bevor er aufs Display sah, wusste er bereits: Es musste das Präsidium sein. Er hätte hier nicht anhalten dürfen, er war ohnehin viel zu spät dran. Und tatsächlich, Harald war am anderen Ende.
    »Bist du in Marienbüren?«, fragte er.
    »Nein. Ich … hatte noch was zu erledigen. Ist denn was passiert?«
    »Das kannst du wohl sagen. Wie schnell kannst du dort sein?«
    »In Marienbüren? In einer Viertelstunde. Aber jetzt sag schon: Was ist los?«
    »Wir haben die Eltern des Kindes«, sagte Harald. »Sie leben auf einem Bauernhof, ganz in der Nähe vom Stift Marienbüren.«

7
    In der Mittagspause hatte sich Ruhe über das Stift Marienbüren gelegt. Bewohner und Betreuer aßen im Speisesaal, die Verwaltung war nicht besetzt, und selbst das Besuchercafé und der kleine Laden im Torhaus, in dem das Holzspielzeug aus den Werkstätten verkauft wurde, waren geschlossen. Sanna fiel wieder einmal auf, wie sich der Tag im Stift einem klaren Rhythmus fügte. Arbeit, Essen, Freizeit, alles ging verlässlich seinen Gang. Irgendwie passte das zu dem alten Gemäuer, zu der Abgeschiedenheit und der Natur. Es unterschied sich von allem, was sie aus Berlin kannte.
    Sie verschloss die Turnhalle und machte sich auf den Weg zum Hauptgebäude. Ihr Blick wanderte zwangsläufig zum Garten, zu den dunklen Fichten, danach zum Gesindehaus. Doch Jakob war nirgends zu sehen. Natürlich nicht. Er hatte keinen Grund, hierher zurückzukehren. Er war fort.
    Nach dem Auftauchen von Tante Renate gestern war er spurlos verschwunden. Er hatte sich einfach davongemacht. Und Sanna glaubte kaum, dass sie ihn noch mal wiedersehen würde. Auch wenn sie sich ständig dabei ertappte, nach ihm Ausschau zu halten.
    Nach ihrem Besuch hatte Renate Sanna gebeten, sie zum Wagen zu begleiten, während Jakob allein in der Wohnung zurückgeblieben war. Unten im Kirchhof hatten sie sich dann furchtbar gestritten. Tante Renate wollte, dass Sanna mit Jakob zur Polizei ging. Außerdem müsse der Junge in psychologische Behandlung, fand sie. Doch Sanna hatte sich widersetzt. Sie fühlte sich für Jakob verantwortlich. Und sie hatte ihm versprochen: keine Polizei.
    Als Sanna schließlich

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