Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
gefunden haben.« Er deutete auf den Zaun, der das Gelände umgab. »Fremde kommen hier nur bis zum Zaun. Das ist Privatbesitz. Auf die Entfernung sieht jedes Kind gleich aus, das wissen Sie genau. Meine Freundin bekommt ab und zu Besuch von ihrer Schwester aus Herford. Die hat ein vierjähriges Kind. Wahrscheinlich haben die das gesehen.«
»Können wir kurz mit Ihrer Freundin sprechen? Frau Heitbrink, nicht wahr?«
»Sie ist beschäftigt. Wir sind nicht verpflichtet, mit Ihnen zu reden. Ich mache das aus reiner Höflichkeit. Wenn das also alles wäre …«
»Wieso lassen wir Frau Heitbrink nicht selbst entscheiden? Fragen wir Sie doch, ob sie kurz mit uns reden möchte.«
»Hier hat kein Kind gelebt, verflucht. Wenn Sie Ihre Arbeit ordentlich machen würden, dann würden Sie das wissen und uns nicht beschuldigen. Tut mir leid, aber da müssen Sie sich ein paar andere Idioten suchen.«
»Den Namen der Schwester müssen Sie uns schon geben.«
»Heitbrink in Herford. Das wird wohl nicht so schwer sein. Und jetzt hören Sie auf, uns zu belästigen.«
Er wartete keine Antwort ab, sondern trat zurück und warf die Tür ins Schloss. Sie waren ausgesperrt. Jenseits des Zauns stampfte er mit großen Schritten davon.
»Ich würde sagen, jetzt ist klar, wer die Eltern sind«, kommentierte die Schulte das trocken.
Böttger nickte. »So sehe ich das auch. Wir sollten uns einen Durchsuchungsbeschluss holen und wiederkommen.«
Die Indizien würden ausreichen. Es ging schließlich um einen Mordfall. Und das Opfer war ein Kind. Sicher würde die Staatsanwaltschaft mitmachen. Und ein Richter fände sich auch.
»Dann beeilen wir uns besser«, meinte die Schulte. »Bevor die da drin anfangen, alle Spuren zu vernichten, die auf das Mädchen hinweisen.«
Böttger blickte nachdenklich auf das Gelände jenseits des Zauns. »Da ist noch etwas anderes, um das wir uns kümmern sollten.«
»Ach ja? Was denn?«, fragte die Schulte.
»Wir müssen diesen Jakob finden. Den Halbbruder des Mädchens. Falls das mit dem Beschluss nicht klappt, brauchen wir eine Alternative. Und wenn irgendwer noch etwas darüber wissen könnte, was hier passiert ist, dann ist das dieser Junge.«
8
Sanna trat näher an das BMW -Coupé heran. Es war tatsächlich Vincents Auto. Sie sah durchs Fenster. Auf dem Beifahrersitz lagen eine leere Burgerschachtel und das Navi-Gerät. Ein Foto von ihr klebte am Armaturenbrett. Nun wurde ihr das Herz noch schwerer.
An einem der Fachwerkhäuser war eine Bewegung. Hinter dem Fensterchen wurde die Gardine zur Seite gezogen, kurz darauf öffnete sich die Tür und eine von Sannas Nachbarinnen trat heraus. Es war eine ältere Frau mit Sportjacke und blond gefärbten Haaren. Sanna hatte ihren Namen vergessen. Rodepohl oder Rodepieper, irgend so etwas. Eine frisch geschiedene Frau aus der Neubausiedlung, die sich seit der Trennung von ihrem Mann als Mitarbeiterin in einem Callcenter verdingte. Sanna war bereits aufgefallen, dass in den Mietwohnungen rund um die Kirche fast nur Menschen wohnten, die wenig Geld hatten oder eine gescheiterte Existenz. Wer einen normalen Lebensweg eingeschlagen hatte, besaß ein eigenes Haus in der Siedlung.
»Frau Marquart! Gehört der Wagen da vorne zu Ihnen? Sie wissen doch, dass der hier nicht stehen darf.«
Offenbar hatte sie das Berliner Nummernschild gesehen und sich einen Reim darauf gemacht.
»Ich glaube, er gehört einem Freund«, sagte Sanna. »Wie es aussieht, habe ich überraschend Besuch bekommen.«
»Der muss da weg«, stellte die Frau grimmig fest. »So etwas soll nicht zur Gewohnheit werden. Sonst stehen hier irgendwann immer Autos.«
Sanna vermutete, dass es ihr weniger ums Prinzip ging, als darum, dass ein sichtbar vermögender Autobesitzer, dazu noch von außerhalb, sich die gleichen Rechte rausnahm wie ein Anwohner. Ein glasklarer Affront.
»Ich kümmere mich darum«, versprach Sanna.
»Hier ist Parkverbot! Sonst muss ich die Polizei holen.«
»Der Wagen ist gleich weg. Versprochen.«
Sanna verabschiedete sich und umrundete die Kirche. Ihre Wohnung rückte ins Blickfeld. Auf den Stufen vor der grün lackierten Eingangstür hockte eine einsame Gestalt. Es war Vincent. Er trug einen Armani-Anzug und Lackschuhe, offenbar war er direkt von der Arbeit hierher gefahren. Links und rechts von ihm große Blumenkübel mit Geranien. Daneben ein bemaltes Namensschild aus Salzteig. Sanna lächelte. Er passte genauso wenig nach Marienbüren wie sein Auto.
Sie näherte sich.
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