Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
träume nachts von dem Mädchen. Von seinen schwarzen Augen. Es taucht in meinen Träumen auf, immer wieder, und dann versucht es, sich an mich zu klammern.«
»Das sind die Nachwirkungen von dem Schock. Du bist eben sensibel, Sanna. Ich kann verstehen, dass dich das verfolgt. Das ist ganz normal.«
Sein Tonfall hörte sich für ihren Geschmack ein wenig zu verständnisvoll an. Sie fragte sich, ob er sie ernst nahm.
»So schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte sie. »Du musst dir keine Sorgen machen. Und das mit den Träumen, das wird schon vorbeigehen.«
»Natürlich mache ich mir Sorgen um dich. Schließlich bist du hier ganz allein. Keiner ist da, mit dem du reden kannst. Der dir zuhört.«
Nun stieg Ärger in ihr auf. Manchmal konnte er wie ihr Vater sein. Beinahe hätte sie gefragt: Ach ja? Und mit wem kann ich denn in Berlin reden?
»Tante Renate ist hier«, wiedersprach sie entschieden.
»Ich meine jemanden, der dich versteht. Der dich kennt.«
Sie wollte protestieren, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Das alles ist zu viel für dich, Süße. Immer willst du stark sein. Alles alleine durchstehen. Aber das ist Wahnsinn. Verstehst du denn nicht? Du brauchst keinem etwas beweisen. Wir wollen dir alle nur helfen.«
Sie hielt inne. Ein Verdacht beschlich sie. Sie konnte nur hoffen, dass er mit wir nicht ihre bescheuerte Familie meinte. Ob er wohl in Dahlem gewesen war, um mit ihren Eltern Krisenrat zu halten? Hatten sie vielleicht gemeinsam beschlossen, dass er nach Marienbüren fahren und mit ihr reden sollte?
»Denkst du, ich kriege das alleine nicht hin?«
»Darum geht es doch gar nicht«, sagte er beschwörend. »Ich will dir nur helfen. Musst du daran so zweifeln? Wieso hältst du die Menschen, die dich lieben, immer auf Abstand? Was muss ich denn tun, damit du meine Hand nicht wegschlägst?«
Sie wusste nicht weshalb, aber etwas verhärtete sich in ihr. Sie bedeckte ihre Brüste mit dem Laken und riss ihm die Zigarette aus der Hand, um trotzig zu rauchen.
»Es geht mir wirklich gut«, stellte sie fest. »Und Tante Renate versteht mich sehr wohl. Besser, als manch anderer in meiner Familie. Also danke der Nachfrage. Und jetzt möchte ich nicht weiter darüber reden.«
»Siehst du, es passiert schon wieder. Du schließt mich einfach aus. Sprich doch lieber mit mir.«
Sie zog an der Zigarette und inhalierte tief.
»Sanna, nach allem, was hier schon passiert ist … Was willst du denn in diesem gottverfluchten Kaff? Du läufst doch nur vor deinem Leben weg. Komm mit mir zurück, bitte.«
Damit hatte sie nicht gerechnet.
»Zurück nach Berlin?«, fragte sie erstaunt.
»Der Erdrutsch, das tote Kind. Was muss denn noch passieren, damit du einsiehst, dass du nicht hierhin gehörst? Du bist alleine. Komm mit nach Berlin. Da gibt es genügend andere Jobs.«
»Aber ich mag meinen Job hier. Ich mag die Arbeit, das Stift, die Patienten, die Natur, einfach alles.«
»Schon. Aber das hast du in Berlin auch alles. Wusstest du, dass es in Potsdam eine ganz ähnliche Einrichtung gibt? Draußen am Königswald, in einer alten Fabrik aus der Gründerzeit. Sieht toll aus da. Die suchen jemanden für den Bereich Feldenkrais. Und für Yoga, das machst du doch auch. Wenn du willst, kannst du da anfangen. Dein Vater …«
Er biss sich auf die Lippen. Doch es war zu spät. Das entscheidende Wort war gefallen.
»Mein Vater ?« Sie starrte ihn an. »Also doch. Du hast schon Pläne mit ihm geschmiedet. Hinter meinem Rücken. Habt ihr einen Familienrat gehalten?«
»Sanna, warte, jetzt hör doch erst mal …«
»Ein Job in Potsdam also! Ich glaube sofort, dass ich den kriegen kann, wenn ich will. Da hat mein Vater wohl ein paar Kontakte spielen lassen.«
Sie warf die Kippe ärgerlich in eine halb leere Kaffeetasse auf dem Nachttisch, wo sie mit einem Zischen verlosch.
»Hat er dich etwa geschickt?«
»Sanna, bitte …«
»Ob er dich geschickt hat? Damit du mich wieder nach Hause holst. So war es doch, oder? Er hat dich vorgeschickt. Als seinen Laufburschen.«
Sie wartete seine Antwort nicht ab. Mit einem Ruck schlug sie die Bettdecke zur Seite, stand auf und zerrte ihren Morgenmantel hervor.
»Wirklich toll, Vincent! Danke schön!«
»Du verstehst das alles falsch, Sanna.«
»Natürlich. Ich bin die, die immer alles falsch versteht.« Sie warf sich den Morgenmantel über und verknotete den Gürtel. »Ich werde mich jetzt ums Abendessen kümmern. Dafür brauche ich deine Hilfe nicht.«
Damit ließ
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