Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Sicherheit war.
»Ich möchte gerade einfach nicht, dass du alleine zu Hause bist. Frag nicht weiter nach. Versprichst du mir, dass du rübergehst und zum Abendessen bleibst? Ich hole dich dann später ab.«
»Wenn du unbedingt willst, natürlich.« Er blickte sie unsicher an. Plötzlich wirkte er wieder wie der kleine Junge, der er einmal gewesen war. Der gar nicht genug davon bekommen konnte, mit seiner Mutter zu kuscheln.
»Heute Abend erzähl ich dir alles. Mach dir keine Sorgen, Schatz.«
Sie strich ihm durchs Gesicht und gab ihm einen Kuss. Dann wandte sie sich ab und verließ das Haus. Stieg in den Wagen und fuhr hinunter zum Kirchplatz. Sannas Wohnung wirkte verwaist. Renate klingelte Sturm, doch nichts regte sich. Sie hatte bereits damit gerechnet. Sanna war nicht zu Hause. Sie ging zurück zum Auto. Sie wollte nach Bielefeld weiterfahren. Jens würde ihr helfen, da war sie sich ganz sicher. Wenn nicht wegen der Ermittlungen, dann um der alten Zeiten willen. Er war ihre letzte Hoffnung.
Renate machte sich sofort auf den Weg nach Bielefeld. Sie parkte vor dem Polizeipräsidium, stöckelte hastig über den Vorplatz und betrat das Gebäude durch eine Glastür. Dahinter befand sich ein Vorraum, in dem die Pforte untergebracht war. Ein mürrisch aussehender Mittfünfziger saß hinter einer gläsernen Wand und unterhielt sich mit einem jungen Kollegen in Uniform, der an einem Schrank lehnte und Kaffee trank. Es dauerte, bis die beiden auf sie aufmerksam wurden. Sie warfen ihr vorwurfsvolle Blicke zu, offenbar weil Renate ihr Gespräch unterbrochen hatte. Der Pförtner beugte sich vor und drückte den Knopf der Sprechanlage.
»Ich möchte zu Jens Böttger«, sagte sie. »Es ist dringend. Mein Name ist Renate Thun. Ist Herr Böttger im Haus?«
»Ich kenne Sie. Sie sind doch von der Zeitung, oder nicht? Da ist die Pressestelle zuständig.«
»Nein. Es geht um einen Hinweis. Herr Böttger kennt mich. Persönlich.«
Der Pförtner blickte skeptisch. Er zögerte, dann nahm er widerwillig den Hörer und gab eine Durchwahl ein.
»Hier ist eine Frau von der Zeitung, die Sie sprechen will«, sagte er in den Hörer.
»Sagen Sie ihm, ich bin Renate Thun!« In ihrer Unruhe sprach sie unnatürlich laut. »Sagen Sie ihm, ich muss ihn sprechen. Es geht um meine Nichte Sanna Marquart.«
Der Pförtner musste das gar nicht erst weitergeben. Offenbar hatte Jens alles gehört, denn er sagte etwas zum Pförtner, woraufhin der düster nickte und den Hörer schließlich wieder auf die Gabel legte.
»Sie können zu ihm«, stellte er fest.
Der junge Beamte stellte den Kaffeebecher ab. Er warf seinem Kollegen einen genervten Blick zu.
»Ich bringe Sie hoch«, sagte er zu Renate und trat aus dem Pförtnerhäuschen heraus. Sie folgte ihm durch die Halle zum Treppenhaus. Keiner von beiden sagte ein Wort. Im zweiten Stock führte er sie über einen leeren Korridor. Ihre Absätze klackerten auffällig. Schließlich blieb er vor einer Tür stehen, klopfte an und steckte den Kopf ins Innere. »Frau Thun«, sagte er.
Jens’ Stimme drang heraus: »Ja, ist in Ordnung.«
Renate trat erleichtert durch die Tür. Dahinter lag ein Gruppenraum. Sie sah Stuhlreihen, eine breite Fensterfront, vorne standen Pinnwände und Flipcharts. Ein halbes Dutzend zivile Ermittler hockte am Rand einer Stuhlreihe und blickte neugierig. Mittendrin Jens Böttger, der aufstand und ihr entgegenging. Renate war offensichtlich mitten in eine Besprechung geplatzt.
»Komm herein, Renate«, sagte Jens und schloss die Tür. »Kann ich was für dich tun? Es hörte sich dringend an.«
Renate beäugte die anderen Polizisten. Schüchtern trat sie näher. Es wäre ihr lieber gewesen, mit Jens allein zu sprechen. Aber das durfte jetzt keine Rolle spielen.
»Sanna ist verschwunden«, sagte sie. »Jens, du musst mir helfen.«
»Was meinst du mit verschwunden ? Was ist passiert?«
»Na ja … sie war mit Jakob unterwegs.«
Bei der Erwähnung von Jakobs Namen herrschte sofort Spannung im Raum. Alle starrten sie an.
»Sie wollte ihn nach Bielefeld zum Bahnhof bringen, damit er von hier verschwinden kann.«
Jens betrachtete sie kühl. »Du wusstest also doch, wo Jakob sich aufhält.«
»Ich habe das eben erst erfahren.« Eine kleine Lüge, um die Situation zu entschärfen. »Herrgott, Jens! Ich weiß, ich hätte dich sofort anrufen sollen. Aber jetzt bin ich ja hier. Ist doch auch egal. Sanna ist weg!«
»Sie wollte Jakob also zum Bahnhof bringen?«, fragte er.
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