Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
paarmal mit dem Bein aus, bis sie es schaffte, ihn vom Tisch zu fegen. Der Teller flog durch die Luft und zerbrach mit lautem Klirren auf dem Beton.
Einer der Polizisten blickte sich um. Er betrachtete nachdenklich die Scheune. Sanna gab würgende Laute von sich, doch die waren draußen nicht zu hören. Der Polizist verlor schließlich das Interesse und wandte sich wieder ab.
Es hatte keinen Sinn. Doch dann löste sich Jakob aus seiner Starre. Das Geräusch des zerspringenden Tellers hatte ihn offenbar aus der Trance erwachen lassen.
Jakob!, dachte Sanna aufgeregt. Komm zurück, wo immer du bist! Komm zu Verstand. Du musst schreien. Dann werden wir gerettet.
Er blickte auf. Doch er schien sie gar nicht zu erkennen. Seine Augen waren groß und ängstlich. Er zog einen Schmollmund.
»Wir dürfen keinen Lärm machen«, flüsterte er mit einem Kinderstimmchen. »Die wollen nicht, dass wir laut sind. Pst. Wir müssen ganz leise sein.«
Sanna spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. Bitte, Jakob. Nicht jetzt. Komm zurück. Werde normal. Sie gab würgende Laute von sich, versuchte ihn irgendwie zu erreichen. Doch Jakob schien nur noch aus Kulleraugen zu bestehen.
»Sei doch leise«, flüsterte er. »Du musst leise sein. Das dürfen wir nicht. Wir müssen lieb sein.« Verschwörerisch fügte er hinzu: »Sonst werden wir bestraft.«
Draußen war das Gespräch offenbar beendet. Die Polizisten kehrten zum Ausgang zurück. Es war die letzte Chance, auf sich aufmerksam zu machen. Doch Jakob blickte Sanna an, als habe er lediglich Angst, sie könnte trotz des Knebels zu laut sein. Einer der Polizisten warf noch einen Blick zur Scheune, dann verschwanden die beiden hinter dem Eisentor. Bleierne Verzweiflung legte sich über Sanna. Es war zu spät. Tatenlos beobachtete sie, wie das Tor hinter den Männern geschlossen wurde und kurz darauf ihr Wagen den Schotterweg hinauffuhr.
Wolfgang Blank blieb allein auf dem Hof zurück, er sah zur Scheune herüber und steuerte schließlich das Haus an. Dann hielt er inne. Ein weiteres Auto tauchte auf. Er kehrte zum Tor zurück und ließ es auf den Hof. Es war ein weißer Lieferwagen.
Sanna spürte die Angst. Doch sie konnte nichts tun. Es gab keinen Ausweg. Sie hockte reglos da, mit schmerzenden Handgelenken, und war dazu verurteilt abzuwarten, was als Nächstes passierte.
Das Scheunentor wurde aufgezogen, grelles Licht fiel herein. Sanna blinzelte. Die Umrisse des Mannes zeichneten sich im Tor ab. Zuerst dachte sie, es wäre Jakobs Großvater, dieser Wolfgang Blank. Aber dann erkannte sie, wer dort aufgetaucht war. Es war der Typ mit dem Basecap. Der Typ, der im Stift eingebrochen war. Er war allein. Lautlos trat er näher. Er betrachtete zufrieden die beiden Gefangenen.
»Wir waren ganz leise«, sagte Jakob ängstlich, immer noch mit Kinderstimmchen. »Wir haben keinen Mucks gemacht.«
Ein kaltes Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes. Er trat auf Jakob zu, beugte sich hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Daraufhin durchlebte Jakob wieder einen Wandel. Seine Augen verdunkelten sich, sein Blick wurde starr. Er ließ den Kopf hängen und wurde apathisch. Das kleine Kind war fort. Jakob wirkte jetzt, als wäre er gar nicht anwesend.
Der Mann bemerkte, wie Sanna Jakobs Wandel verstört beobachtete. Er trat auf sie zu. Seine Statur war kräftig, das Gesicht dabei seltsam charakterlos, die Augen kalt und mitleidlos.
»Es ist schon erstaunlich«, sagte er. »Wozu die menschliche Seele fähig ist.«
Sanna rührte sich nicht. Gleichmäßig atmete sie durch die Nase. Der Knebel schmerzte, doch sie ließ sich nichts anmerken.
»Sie wären erstaunt zu erfahren, wie weit sich der Mensch manipulieren lässt, Frau Marquart.«
Er kannte also ihren Namen. Sanna wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Sie fürchtete jedoch nichts Gutes.
»Jakob ist mir absolut hörig. Er hat keinen eigenen Willen. Keine eigene Persönlichkeit. Er ist, was ich will. Unmöglich, sagen Sie? Sie haben keine Ahnung.« Er hielt inne. »Das heißt, einen kleinen Eindruck haben Sie ja neulich bekommen. Jakob war bereit, sich von der Brücke in den Tod zu stürzen. Das haben Sie ja beobachtet. Sehen Sie, so groß ist mein Einfluss. Er hat das getan, weil ich es wollte.« Er verschränkte die Arme und betrachtete Jakob mit gekräuselten Lippen. »Etwas ist aber schiefgegangen. Irgendwie haben Sie es geschafft, ihn davon abzuhalten, Frau Marquart. Er ist nicht gesprungen. Ein Fehler im Programm. Was ist da
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