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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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in Annas Zimmer umschaut.«
    »Wieso fragst du mich?«
    Während Helen dastand, eindeutig verärgert, und mit nervös flatternden Lippen nach einer Antwort suchte, sah ich, wie ein Anflug von Hohn über das Gesicht ihres Mannes glitt. Es war ein hässlicher Moment, eine kleine Widerwärtigkeit eines kleinen Mannes in einem kleinen Haus, und ich mochte wirklich nicht länger mit ihm im selben Raum sein.
    »Geht es da lang?«, fragte ich Helen und ging auf die Tür zu.
    »Äh, ja … ja«, murmelte sie, immer noch aufgewühlt, auch wenn sie sich anstrengte, es zu verbergen. »Einfach die Treppe hoch … äh … und die erste Tür rechts.«
    »Nach Ihnen«, sagte ich.
    Graham Gerrish starrte noch immer mit leerem Blick auf den Fernseher, als wir das Zimmer verließen und ich seiner Frau nach oben folgte.
    »Wir haben nichts verändert, seitdem Anna ausgezogen ist«, erklärte sie mir. »Ich meine, in ihrem Zimmer. Wir haben es so gelassen, wie es war, verstehen Sie … falls sie mal übernachten wollte, wenn sie zu Besuch kam.«
    »Wie alt war Anna, als sie ging?«
    »Siebzehn. Ihre Unabhängigkeit war ihr immer sehr wichtig.«
    »Kam sie oft zu Besuch?«
    »Hier ist es«, sagte Mrs Gerrish, die Frage ignorierend, während sie die Tür öffnete, das Licht anmachte und mich hineinführte.
    Als ich ins Zimmer trat, dachte ich, sie hätte mir aus Versehen das Zimmer der falschen Tochter gezeigt, einer Tochter, von der sie mir nichts erzählt hatte … einer Zwölfjährigen. Denn so sah es aus – wie das Zimmer einer Zwölfjährigen. Rosa Tapete, Mickymaus-Vorhänge, Möbel wie in einer Puppenstube. Es gab einen kleinen Holzstuhl mit aufgemalten Blumen, einen winzigen Schminktisch, ein Einzelbett, das mit knallweißen Laken und bestickten Decken bezogen war. Überall gab es rüschenbesetzte Sachen, samtige Kissen, leuchtend bunte Bänder. Und im ganzen Zimmer sah ich Teddybären und Kuscheltiere – sie waren auf dem Bett aufgereiht, saßen auf den Stühlen und hockten auf dem Kleiderschrank. Das einzige Nicht-Zuckersüße war ein matt glänzender schwarzer Laptop neben dem Bett.
    »Das ist Annas altes Zimmer?«, fragte ich und versuchte, die Fassungslosigkeit aus meiner Stimme herauszuhalten.
    »Ja … sie mochte es, wenn alles schön ordentlich war.«
    »Und sie hat, bis sie siebzehn war, hier geschlafen?«
    »Das ist richtig«, antwortete Helen und ging durch das Zimmer auf ein Regalschränkchen aus Plastik zu, das an der Wand stand. »Ja, hier sind sie … Annas Fotos.« Sie fing an, eine Sammlung gerahmter Fotos durchzusehen, die ordentlich platziert auf den Regalböden standen. Alle Aufnahmen zeigten Anna: Anna, als sie klein war, Anna mit sechs oder sieben, Anna mit zwölf, dreizehn, vierzehn. Ich hörte, wie Helen Gerrish vor sich hin murmelte, während sie die Fotos durchsah. »Ich glaube, wir haben auch ein paar aus der letzten Zeit hier … ich bin mir sicher, Graham hat welche gerahmt und hochgebracht …«
    Ich schritt langsam auf sie zu und schaute mich im Gehen um, immer noch unfähig zu glauben, was ich sah. »Hat sie das Zimmer selbst eingerichtet?«, fragte ich.
    »Wer, Anna? Um Himmels willen, nein. Graham hätte das nie erlaubt. Er macht alle Heimwerkerdinge hier im Haus. Graham ist sehr geschickt mit den Händen.«
    Ich wette, dass er das ist, dachte ich.
    »Ich war der Meinung, Sie hätten erzählt, dass er heute Abend arbeiten müsse?«, sagte ich beiläufig.
    »Oh, ja … also, er dachte, er hätte Dienst, aber irgendwie gab es ein Durcheinander mit den Schichten oder so.«
    »Klar … Als was arbeitet er eigentlich, wenn ich fragen darf?«
    »Früher war er beim Finanzamt, aber vor ein paar Jahren ist er freigestellt worden. Jetzt ist er im Sicherheitsbereich tätig.«
    »Im Sicherheitsbereich?«
    »Ja, er arbeitet hauptsächlich in dem großen Einkaufszentrum in der Stadt.«
    Ich nickte. Es fiel nicht schwer, sich Graham Gerrish vorzustellen, wie er im Einkaufszentrum patrouillierte – in der Uniform vom Sicherheitsdienst herumstolzierte, Kinder einschüchterte, Jugendliche anschiss, sie sollten von ihren Skateboards steigen, Leute aufforderte, ihre Zigarette auszumachen …
    »Ist das Annas Laptop da drüben?«, fragte ich Mrs Gerrish.
    »Nein … das ist Grahams. Er hat ihn hier stehen, weil das offensichtlich der einzige Ort im Haus ist, wo er eine gescheite Internetverbindung bekommt.«
    »Wirklich?« Ich blickte mich im Zimmer um auf der Suche nach einem Router, doch ich fand

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