Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
bis morgen«, nichts. Er sagte bloß das, was er zu sagen hatte, dann legte er auf. Ich saß eine Weile da, rauchte meine Zigarette und spulte das Gespräch in Gedanken noch einmal ab, um mir klar zu werden, ob es irgendetwas bedeutete … Aber der einzige Schluss, zu dem ich kam, war, dass mein Vater nicht übertrieben hatte, als er mir vor vielen Jahren erzählte, Bishop sei der unsympathischste Mann, der ihm je über den Weg gelaufen war.
    Ich schaute auf meine Uhr, sah, dass es halb sieben wurde, und fuhr wieder los.
     
    Auf den Straßen in Stangate Rise war es ziemlich ruhig, als ich von meinem Wagen zum Haus der Gerrishs ging. Ich nahm an, es war noch zu früh für die Pendler, die aus London zurückkehrten. Aber sie würden bald kommen – mit ihren 30.000-Pfund-Autos vom Bahnhof heimfahrend, müde und nass, gestresst, gelangweilt, belastet von dem Wissen, morgen erneut aufstehen, den Anzug anziehen und wieder von vorn beginnen zu müssen.
    Und wieder.
    Und wieder.
    Und wieder.
    Arme Scheißer.
    Oder dumme Scheißer.
    Hängt davon ab, wie man’s sieht, nehme ich an.
    Es war jetzt vollständig dunkel, die Siedlung leuchtete orangefarben im Neonschein der Straßenbeleuchtung, und als ich bei den Gerrishs klingelte, war ich mir vage der zahllosen Fernsehschirme bewusst, die ringsum hinter den Vorhängen der Häuser flimmerten. Es hatte fast etwas Weihnachtliches, auf eine billige Weise.
    Helen Gerrish wirkte angespannt, als sie die Tür öffnete, was ich erwartet hatte. Sie war eine nervöse Frau in einer ausgesprochen belastenden Lebenssituation. Es wäre seltsam gewesen, wenn sie nicht angespannt gewirkt hätte. Doch als sie so in der Tür stand und mich mit ihrem verkniffenen Lächeln ansah, hatte ich den Eindruck, dass sie nicht nur Angst um Anna hatte. Noch etwas anderes machte ihr Kummer. Etwas, das mit jetzt zu tun hatte. Unmittelbar hier, unmittelbar jetzt.
    »Tut mir leid, dass ich schon wieder zu spät komme, Mrs Gerrish«, sagte ich. »Ich hab mich ein bisschen verfahren.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein … schon gut, Mr Craine. Macht überhaupt nichts.« Sie zog die Tür weiter auf und trat zur Seite. »Bitte, kommen Sie rein.«
    Ich folgte ihr über einen schmalen kleinen Flur in ein würfelförmiges Wohnzimmer. Es war sehr sauber, sehr aufgeräumt, sehr spießig. Polstergarnitur, Breitbildfernseher, langweiliger Nippeskram, Couchtisch aus dunklem Holz, künstliches Kaminfeuer. Drüben am Fenster saß ein Mann in grauer Strickjacke und grüner Cordhose und schaute fern. Er hatte ein grimmiges Gesicht, ergrauende Haut und eine von diesen breiten Oberlippen, bei denen man immer gleich einen Schnurrbart erwartet, den er aber nicht trug. Er war älter als seine Frau, mindestens Mitte fünfzig, auch seine kurzen schwarzen Haare wurden langsam grau.
    »Das ist Graham, mein Mann«, sagte Helen Gerrish.
    »’n Abend, Mr Gerrish«, sagte ich. »Sehr erfreut.«
    Er sah mich einen Moment an, nickte, ohne zu lächeln, und wandte sich wieder dem Fernseher zu. Ich starrte ihn ein, zwei Sekunden an und versuchte, in ihm den Mann zu erkennen, der sich nach Aussage seiner Frau genauso sehnlich wünschte, Anna zu finden, wie sie selbst. Doch entweder hatte sie mich angelogen oder es gelang ihm unglaublich gut, seine Gefühle zu verbergen. Ich drehte mich wieder zu Helen Gerrish um, wobei mir einfiel, dass ihr Mann doch angeblich heute Abend arbeiten musste, aber weder das noch seine äußerst unhöfliche Begrüßung sprach ich ihr gegenüber an. Sie schaute auch so schon verlegen genug.
    »Hier sind Annas Schlüssel«, murmelte sie, während sie mir den Anhänger reichte. »Der Sicherheitsschlüssel ist für die Wohnung, der andere für die Haustür.«
    »Danke. Haben Sie noch ein anderes Foto gefunden?«
    »Ach, stimmt ja … ich wusste, da war noch was. Oben in ihrem Zimmer müssten noch welche sein.« Sie schaute hinüber zu ihrem Mann. »Weißt du, ob es in Annas Zimmer noch Fotos von ihr gibt?«
    Er antwortete nicht, sondern starrte weiter in den Fernseher.
    »Graham?«, fragte Helen.
    Widerwillig schaute er auf. »Was?«
    »Mr Craine braucht ein anderes Foto von Anna. Sind in ihrem Zimmer welche?«
    Er zuckte die Schultern. »Woher soll ich das wissen?«
    »Ich dachte nur …«
    »Warum gehen wir nicht beide rauf und schauen nach?«, schlug ich vor.
    Sie warf mir einen Blick zu, dann sah sie wieder ihren Mann an. »Ist das in Ordnung für dich?«
    »Ist was in Ordnung?«
    »Wenn sich Mr Craine

Weitere Kostenlose Bücher