Schlafende Geister
geworden – dem Hippodrome, Tiffany’s oder Quay Club. Die umliegenden Straßen sind mit Pubs, Restaurants und Fast-Food-Lokalen gepflastert, von denen viele erst in letzter Zeit aufgemacht haben. Die meisten neueren Läden haben einen relativ sicheren Ruf, doch es gibt immer noch ein paar, die genauso zwielichtig sind wie früher. Das Wyvern, der Pub, in dem Anna gearbeitet hatte, gehörte eindeutig zur letzten Sorte.
Es regnete immer noch, als ich den Wagen auf dem Parkplatz eines Wohnblocks am anderen Ende von Quayside abstellte. Und als wir ausstiegen und zu dem Block hinübergingen, sah ich die Lichter der benachbarten Nachtclubs grell im Regen flimmern. Es war noch früh, die Clubs hatten noch nicht geöffnet, doch bereits jetzt spürte ich die Verheißung der bevorstehenden Nacht in der Luft: den Lärm, die Hitze, das Tanzen, den Alkohol … die Schlägereien, den Sex … die Verheißung von Liebe und Verzweiflung …
Es war alles da.
»… aber natürlich haben wir ihr«, sagte Helen Gerrish, »auch wenn wir eigentlich gegen den Auszug waren, bei der Kaution geholfen.«
Wir hatten jetzt den Eingang zu den Wohnungen erreicht und Helen erzählte mir offenbar von Annas Miete oder davon, wie Anna das Geld dafür zusammenbekam … irgendwas in der Art.
Ich sah sie an und lächelte.
Sie öffnete die Haustür und ich folgte ihr die Treppe hinauf in den ersten Stock und dann den Flur entlang zu Annas Wohnung. Als Helen den Schlüssel ins Schloss schob, merkte ich, wie ihre Nervosität wieder wuchs. Sie hatte aufgehört zu reden und ihr Gesicht war verkniffen und angespannt.
»Sind Sie sicher, dass Sie mit reinwollen?«, fragte ich. »Sie können auch draußen warten, wenn Ihnen das lieber ist. Es dauert nicht lange.«
»Nein …«, sagte sie und verstummte dann kurz. »Nein, schon gut, danke.«
Sie öffnete die Tür und wir traten in einen dunklen Raum. Helen machte das Licht an und ich stand da und schaute mich um. Die Wohnung war relativ klein – Wohnzimmer, Küche, Bad und Schlafzimmer –, wirkte aber nicht allzu beengt. Und auch wenn sie nicht makellos aufgeräumt war, wirkte sie doch nicht übertrieben chaotisch. Ich roch kalten Zigarettenrauch und im Zimmer standen einige volle Aschenbecher. Die gebrauchten Möbel gehörten eindeutig zur Wohnungsausstattung, doch auch wenn der Gesamtzustand der Wohnung nicht besonders gut war, hatte ich schon Schlimmeres gesehen. Alles in allem war es ein Ort mit niedriger Miete, ideal für eine junge Frau, die verzweifelt versuchte, von zu Hause wegzukommen.
Während ich im Wohnzimmer umherging und mir dies und das anschaute, setzte sich Helen auf das billige Sofa.
»Was suchen Sie?«, fragte sie.
»Irgendwas, keine Ahnung«, antwortete ich und warf einen Blick über die Regale. »Etwas, das nicht hier sein sollte, oder etwas, das hier sein sollte, aber nicht da ist …«
»Die Polizei hat schon alles durchsucht.«
Ich nickte. »Wann war das?«
»Am Tag, nachdem ich sie als vermisst gemeldet hatte. DCI Bishop hat mir gesagt, sie hätten nichts Verdächtiges gefunden.«
»Wissen Sie, ob er davon ausgeht, dass sie in der Nacht noch mal hier war?«
»Er meinte, das ließe sich unmöglich sagen. Niemand hat gesehen , dass sie zurückkam. Aber es müsste ja auch spät gewesen sein … und abgesehen davon sind die Leute, die hier wohnen …«
Ich sah sie an.
Sie zuckte die Schultern. »Die wollen doch sicher nicht gern in was reingezogen werden, oder?«
Ich stand in der Mitte des Zimmers und sah mich ein letztes Mal um, doch ich hatte das Gefühl, dass es hier nichts gab, was mir etwas verraten würde. Es war ein Raum, der jedem hätte gehören können – nichtssagend und anonym wie ein Hotelzimmer. Ohne irgendwas Persönliches, kein Nippes, keine Bilder, keine Bücher. Ein Raum nur zum Fernsehen.
Ich ging in die Küche, doch auch da gab es nichts Brauchbares. Der Kühlschrank war ausgeräumt, die Spüle leer. In einem kleinen Schrank fanden sich ein paar Dosen Gemüse und eine Schachtel Cracker und es gab eine Schublade mit den üblichen Küchensachen – Besteck, Tesafilm, Alufolie –, aber das war es auch schon so etwa.
»Hat die Polizei den Kühlschrank ausgeräumt?«, fragte ich Helen, als ich ins Wohnzimmer zurückkam.
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, tut mir leid.«
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Sie hockte ganz zusammengesunken in der Ecke des Sofas und hielt ihre Hände fest umklammert im Schoß.
»Ja … ja, schon
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