Schlafende Geister
wegen der Speicherkarte.«
»Danke.«
Er öffnete die Tür.
Ich sagte: »Schlaf mal wieder, Cal. Okay? Dann bis später.«
Er nickte und ich ließ ihn am Eingang stehen.
Als ich zurück zu meinem Wagen ging, hörte ich ihn noch rufen: »Bis später, Monk.«
Ich lächelte noch, als ich mich in den Wagen setzte.
9
Mein Vater hatte kein besonders schönes Leben. Mit sechzehn ging er zur Polizei und trotz seines lebenslangen Kampfes gegen oft lähmende Depressionen stieg er immer weiter auf, bis er 1989 Detective Inspector wurde. In seiner Zeit als Detective Constable bei der Kriminalpolizei von Hey hatte er Leon Mercer kennengelernt, der damals auch ein DC war, und sich mit ihm angefreundet. Ein weiterer Beamter zu dieser Zeit, der schon damals einen gewissen Ruf hatte, war Police Constable Mick Bishop. Leon und mein Vater arbeiteten die ganzen späten siebziger und frühen achtziger Jahre zusammen, und selbst als sie beide zu Detective Sergeants befördert und in verschiedene Abteilungen versetzt wurden, blieben sie enge Freunde. Bishop stieg in dieser Zeit ebenfalls auf. Obwohl einige Jahre jünger als Leon und mein Vater, war er der Erste, der es zum Detective Inspector brachte. Leon schaffte es etwa zwölf Monate später und mein Vater wurde schließlich zwei Jahre nach ihm ernannt, im Alter von vierundvierzig.
Drei Jahre später nahm er sich das Leben.
Es ist eine komplizierte Geschichte und selbst heute kenne ich noch nicht alle Details, sicher ist aber, dass das Ganze mit Anschuldigungen und Gegenanschuldigungen wegen polizeilicher Korruption begann.
Mein Vater war ein guter Polizist. Er hatte keine herausragenden Eigenschaften – keinen umwerfenden Verstand, keine instinktiven Geistesblitze, kein detektivisches Genie … um ehrlich zu sein, waren seine Fähigkeiten bestenfalls durchschnittlich. Aber er war systematisch, engagiert und entschlossen … und vor allem glaubte er an das, was er tat. Er war fest davon überzeugt, dass es seine Pflicht als Polizeibeamter war, durch Fairness, Rechtschaffenheit, Unparteilichkeit und Fleiß den Frieden und die grundlegenden Menschenrechte zu wahren.
Und das machte ihn für mich zu einem guten Polizisten.
Doch es bedeutete auch, dass er unfähig war, den Mund zu halten, wenn seine Kollegen nicht fair und rechtschaffen waren, und das wurde zum Ursprung seines Ruins. Nicht dass er ein hochgesinnter Idealist oder irgendwie naiv in Bezug auf die Realitäten der Polizeiarbeit gewesen wäre. Überhaupt nicht. Er wusste, dass Polizeibeamte nicht besser als andere Menschen sind, und bis zu einem gewissen Grad akzeptierte er das auch. Polizisten sind normale Leute, menschliche Wesen mit denselben Fehlern, denselben Wünschen, denselben Schwächen wie der Rest von uns. Deshalb wird es immer Polizeibeamte geben, die ihre Macht missbrauchen und sie zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Mein Vater wusste das. Und wie die meisten seiner Kollegen wusste er auch, dass Mick Bishop während seiner ganzen Karriere so ein Beamter war. Bishop umging die Vorschriften. Er brach das Gesetz. Er verletzte Menschen, demütigte Menschen, bestach und erpresste Menschen. Er handelte weder fair noch rechtschaffen.
Aber er brachte Resultate.
Und auch wenn sich mein Vater der Kriminalität Bishops bewusst war, hatte er doch nie die Chance, irgendetwas davon zu beweisen – bis zum Januar 1992, als er per Post ein Video erhielt. Das Video, aufgenommen von einer versteckten Überwachungskamera, zeigte Bishop und zwei andere Männer, wie sie einen Drogendealer im Schlafzimmer eines Hauses in Chelmsford folterten. Der Dealer war an einen Stuhl gefesselt und Bishop und die andern beiden schlugen ihn wechselweise mit Baseballschlägern und fügten ihm mit ihren Zigaretten Verbrennungen zu, bis er ihnen sagte, was sie hören wollten. Das letzte Bild zeigte Bishop, wie er das Haus mit fünf Kilo Kokain in einer schwarzen Ledersporttasche verließ.
Mein Vater übergab das Video und den Begleitbrief – der weitere Details der Vorfalls preisgab – persönlich seinem Vorgesetzten, DCI Frank Curtis.
Ein paar Tage später, nachdem er von Curtis nichts mehr in der Sache gehört hatte, ging er zu ihm. Zur völligen Fassungslosigkeit meines Vaters erklärte ihm Curtis, es gebe keinen wie auch immer gearteten Beweis, dass sich ein solcher Vorfall je zugetragen habe, das Video sei eine Fälschung und Bishop zu der fraglichen Zeit nicht einmal in der Nähe von Chelmsford gewesen, dafür habe er ein
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