Schlafende Geister
wasserdichtes Alibi. Es gebe keine Spur von dem vermeintlichen Drogendealer und die angegebene Adresse existiere nicht. Danach beschuldigte Curtis meinen Vater, falsche Aussagen über einen Kollegen zu verbreiten in dem Versuch, den Mann zu ruinieren.
Mein Vater war verständlicherweise sprachlos.
Umso mehr noch, als er bis zur vollständigen Aufklärung vom Dienst suspendiert wurde.
Drei Wochen später, während er immer noch suspendiert war, wurde er zu einem Gespräch mit dem Detective Chief Superintendent beordert und aufgefordert, die Existenz von zwei Kilo Kokain und 25.000 Pfund in bar in seinem Spind zu erklären. Außerdem wurde er gefragt, ob er etwas zu dem Vorwurf einer angeblichen Verbindung mit einem achtzehnjährigen Mädchen namens Serina Mayo zu sagen habe, die kürzlich als Hauptzeugin der Staatsanwaltschaft in dem prominenten Prozess um einen pädophilen Serientäter aufgetreten war.
Laut Leon Mercer – von dem ich fast alle diese Details hatte – wurde meinem Vater von seinem Gewerkschaftsvertreter geraten, sich nicht zu diesen Anschuldigungen zu äußern, und daran hielt er sich. Selbst als weitere Beweise – einschließlich Fotos – vorgelegt wurden, die zweifelsfrei belegten, dass er wirklich ein intimes Verhältnis mit Serena Mayo gehabt hatte, weigerte er sich noch, irgendeine Aussage zu machen.
Zwei Tage später, während meine Mutter zu Besuch bei ihrer Schwester war, schloss er sich in seinem Arbeitszimmer ein, trank fast eine ganze Flasche Whisky leer und schoss sich danach in den Kopf.
In einem Abschiedsbrief an meine Mutter bestritt er kategorisch alle Anschuldigungen wegen Korruption und bestand darauf, das Kokain und das Bargeld seien in seinen Spind geschmuggelt worden. Er verdächtige DI Bishop, dass dieser ihn, womöglich gemeinsam mit DCI Curtis, gezielt diskreditiert habe. Doch er leugnete nicht, eine Affäre mit Serena Mayo gehabt zu haben.
»Es tut mir so leid, Alice«, schrieb er an meine Mutter. »Ich weiß nicht, wie es passiert ist oder warum. Es ist einfach passiert. Es war buchstäblich ein Akt des Wahnsinns.«
Meine Mutter war natürlich am Boden zerstört.
Fünf Jahre später starb sie an Brustkrebs.
Die Korruptionsvorwürfe gegen meinen Vater und seine Beschuldigungen gegen DI Bishop wurden nie untersucht.
Es war 11.10 Uhr, als ich meinen Wagen (unverschlossen) auf einem kleinen öffentlichen Parkplatz hinter dem Polizeirevier am Eastway abstellte. Ich folgte dem gepflasterten Weg zur Vorderseite des Gebäudes, wo flache Steinstufen hinauf zu den Türen des Haupteingangs führten. Ein leichter grauer Nieselregen hatte eingesetzt und der gelbliche Himmel lag tief und drohend über der Stadt. Ich blieb stehen, zündete mir eine Zigarette an und beobachtete eine Weile den Werktagsverkehr, wie er sich auf der Zufahrt zum Eastway entlangschlängelte. Scheinwerfer leuchteten matt im Regen auf, es wurde gehupt, die Abgase bildeten Nebelschleier in der kalten, feuchten Luft. Direkt vor der Treppe lag der niedrig eingezäunte Viertelkreis einer städtischen Grünfläche und dahinter ein breiter Weg mit Holzbänken und erhöhten steinernen Blumenbeeten. Im Sommer zieht die kleine Grünanlage während der Mittagszeit Jugendliche und Angestellte an, die mit Eis und Cola dasitzen und den Verkehr des Eastway beobachten, als ob es keinen Ort gäbe, wo sie lieber wären. Aber jetzt, an diesem kalten Oktobertag, waren ein Penner, der in seinem billigen Plastikregenmantel die Papierkörbe durchwühlte, und zwei Straßenkids mit einem Hund, die im Regen auf einer Bank hockten, das einzige Anzeichen von Leben.
Ich rauchte meine Zigarette zu Ende, lief die Treppe hoch und trat durch den Haupteingang in einen fahlen und leeren Empfangsbereich aus Plexiglas, Kacheln und Infowänden. Ein Polizist in Uniform schrieb meinen Namen auf und bat mich, Platz zu nehmen. Ich setzte mich auf einen roten Metallstuhl, der im Boden verschraubt war, und rechnete mit einer ziemlich langen Wartezeit, aber zwei Minuten später trat ein junger Mann mit rundlichem Gesicht und in einem dünnen weißen Hemd auf mich zu und stellte sich mir als DC Wade vor. Als er mich durch die Sicherheitstür führte und dann weiter einen Gang mit grauem Teppichboden entlang, hörte ich gedämpfte Geräusche, die aus halb geschlossenen Türen drangen – das leichte Klacken der Tastaturen, Computerpiepsen, gedämpfte Stimmen. Das Ganze klang überraschend lahm, mehr nach Sozialamt als nach
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