Schlafende Geister
Also rauchte ich nur, schaute aus dem Fenster und beobachtete, wie die Welt an mir vorbeizog – das nervöse Durcheinander auf der High Street, Leute, die schon früh am Morgen zum Einkaufen gingen, wimmelnd wie Insekten … Taxifahrer, Angestellte, alte Ehepaare … Leute, Menschen … alle irgendwohin unterwegs, voller Vertrauen ihre Bedürfnisse befriedigend … eine ewige Bewegung aus Blut, Fleisch und Knochen …
Das Geschäft des Lebens.
Das Geschäft des Todes. 23. August 1993. Montagmorgen, neun Uhr. Zehn Tage nach Stacys Ermordung. Ein weiterer drückend heißer Tag und ich sitze mit Detective Inspector Mark Delaney in einem Büro des Polizeireviers am Eastway. Ich bin verkatert, mir ist schlecht, meine verschwitzte Haut riecht säuerlich nach abgestandenem Alkohol. DI Delaney bringt mich auf den neuesten Stand der Untersuchungen in Bezug auf den Mord an Stacy.
»Ich fürchte, das wird nicht leicht werden, John«, sagt er und blättert ein paar Seiten in einem Stapel durch. »Ich kann die Einzelheiten überspringen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Nein«, sage ich zu ihm. »Ich muss wissen, was passiert ist.«
Er sieht von dem Stapel auf. »Sicher?«
»Ja.«
Er hält einen Moment meinem Blick stand und in seinen warmen braunen Augen liegt echte Besorgnis, dann nickt er mit dem Kopf und schaut wieder auf den Stapel. »Okay. Nun, wie Sie wissen, wurde die Autopsie letzte Woche vorgenommen und wir haben jetzt ein paar weitere vorläufige Ergebnisse aus der Gerichtsmedizin.« Er unterbricht sich kurz, holt leise Luft, um seine Stimme in den Griff zu kriegen, dann redet er weiter. »Der Bericht der Pathologie kommt zu dem Schluss, dass die unmittelbare Todesursache zwar Erwürgen war, dass Ihre Frau aber auch zahlreiche Stichwunden erlitten hat, von denen einige ebenfalls tödlich gewesen wären.«
»Wie viele?«
Delaney schaut zu mir auf. »Wie bitte?«
»Wie viele Stichwunden?«
Er schaut wieder nach unten. »Siebzehn … alle mit derselben Waffe ausgeführt – einem langen Messer mit breiter Klinge.«
»Haben Sie es schon gefunden?«
»Fingerabdrücke werden noch –«
»Ob Sie es schon gefunden haben?«
Er sieht mich an. »Nein.«
»Hat er sie vergewaltigt, ehe er sie erstach?«
»Wir glauben, dass die Stichwunden während der Vergewaltigung zugefügt wurden.«
»Und danach hat er sie erwürgt?«
»Ja.«
»John?«
Ich rieb mir die Augen und drehte mich zu Bishop um. »Entschuldigung, was haben Sie gesagt?«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
»Was?«
Er seufzte. »London Road … letzte Nacht. Waren Sie geschäftlich da oder zum Vergnügen?«
»Nur um ein bisschen rumzufragen«, antwortete ich.
»Wegen Anna Gerrish?«
»Ja.«
»Haben Sie Antworten bekommen?«
»Nicht wirklich.«
»Was soll das heißen – nicht wirklich ? Entweder haben Sie Antworten bekommen oder nicht.«
Ich sah keine Veranlassung, ihm zu antworten, also zuckte ich nur mit den Schultern.
Bishop gefiel das nicht. »Erinnern Sie sich noch, wie ich Ihnen gesagt habe, Sie sollen mich auf dem Laufenden halten, was Sie vorhaben?«, sagte er mit einer abfälligen Schärfe in der Stimme.
»Ja, ich erinnere mich.«
»Und, welchen Teil von dem Satz haben Sie nicht verstanden? So verdammt schwer ist er ja nicht.«
»Ich war die ganze Nacht in einer Zelle eingesperrt. Wie hätte ich Ihnen da –?«
»Da hatten Sie doch längst mit den Mädchen gesprochen«, fauchte er. »Ich will wissen, was Sie machen, bevor Sie verflucht noch mal loslegen, nicht hinterher.«
»Ich wusste nicht, dass ich mit ihnen reden würde«, protestierte ich. »Ich war gestern Abend nur gerade in der Gegend …« Als ich das sagte, merkte ich, dass wir inzwischen an der London Road waren. »Ich meine, ich hatte nicht vor, hierherzukommen. Ich bin bloß –«
»Zufällig durchgefahren?«, höhnte Bishop.
Ich beobachtete ihn, während er abbremste und am Straßenrand anhielt, und fragte mich, was er wohl sagen würde, wenn ich ihn fragte, wieso er nicht mit den Mädchen hier unten über Anna geredet hatte. Was versuchst du zu verheimlichen, Bishop? , stellte ich mir vor, ihn zu fragen. Was weißt du über Anna? Was weißt du, das niemand anderes wissen soll? Verdammte Scheiße, was treibst du für ein Spiel?«
»Okay, hören Sie zu«, sagte er streng. »Von jetzt an tun Sie nichts , ohne es vorher mit mir abzusprechen, ist das klar? Ich will wissen, mit wem Sie reden, warum Sie mit jemandem reden und was Sie von den
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