Schlafende Geister
Bordstein entlang, schwanke leicht, zähle die Hausnummern, bis ich die Nummer 27 erreiche. Das Haus sieht wie alle anderen in der Straße aus: eine betongraue Reihenhaushälfte mit Gardinen vor den Fenstern und einem winzigen, vernachlässigten Vorgarten. Ein warmer Wind weht in der Nacht, als ich vor dem Gartentor stehe, zu den dunklen Fenstern hinaufblicke, an nichts denke …
Es gibt nichts zu überlegen, nichts zu bedenken.
Die Pistole meines Vaters wiegt schwer in meiner Tasche, als ich das Tor öffne und den Weg entlanggehe. Bis auf die fernen Partygeräusche gibt es nirgends ein Zeichen von Leben – kein Zupfen von Vorhängen, keine bellenden Hunde –, da ist nur die leere Nacht und die leere Straße und das leere Ziel in meiner Seele. Ich trete auf die Haustür zu und klingle.
Ich bin so verdammt am Ende, wie ein Mensch nur sein kann.
Eine Weile geschieht nichts, aber ich bin zu betrunken und zu entschlossen, um mich zu fragen, ob Viner zu Hause ist. Er ist hier. Es war immer klar, dass er hier sein würde. Ich weiß es mehr, als ich je etwas gewusst habe. Ich klingle erneut und diesmal geht fast im selben Moment oben ein Licht an. Ich schiebe meine Hand in die Tasche und ziehe Handschuhe raus. Als das Fenster über mir aufgeht, streife ich die Handschuhe über, nehme die Pistole aus der Tasche und stelle mich näher an die Tür.
»Wer ist da?«, ruft eine Stimme von oben. »Hallo? Wer ist da?«
Er kann mich nicht sehen. Über der Tür ist ein Vordach, gerade breit genug, um mich zu verdecken. Ich klingle wieder.
»Verdammte Scheiße noch mal«, sagt die Stimme von oben. »Hey … ich bin hier … HEY! Verdammt, wer –?«
Ich klingle von Neuem und diesmal lasse ich den Finger drauf. Die Stimme am Fenster flucht und knurrt noch ein bisschen, dann höre ich, wie es zugeschlagen wird, und ich weiß, er kommt runter.
Ich lasse die Klingel los.
Durch das marmorierte Glas auf beiden Seiten neben der Tür sehe ich, wie das Licht oben im Flur angeht. Ich höre das gedämpfte Stampfen wütender Schritte die Treppe runterkommen und dann geht das Licht unten an. Das gemusterte Glas verzerrt die Gestalt, die auf die Tür zugeht, und einen Moment lang sehe ich ein Monster, eine schwarze Bestie mit übergroßem Kopf, doch dann reißt das missgestaltete Monster die Tür auf und ist nichts als ein Mann. Ein Mann mittleren Alters, mit langen, strähnigen Haaren, einem schlaffen Gesicht, fahler Haut. Seine Augen sind klein. Er trägt ein fleckiges blaues T-Shirt und eine Nylon-Jogginghose. Um den Kopf ist unfachgemäß ein schmuddelig weißer Verband gewickelt.
»Verdammte Scheiße«, legt er los und seine Tieraugen starren mich wütend an.
Ich hebe die Pistole und richte sie auf seinen Kopf.
Er reißt die Augen auf.
Ich trete näher an ihn heran, halte ihm den Lauf der Pistole zwischen die Augen. »Wenn du noch ein Wort sagst«, erkläre ich ihm, »bring ich dich um. Nick mit dem Kopf, wenn du mich verstanden hast.«
Zitternd nickt er.
»Tritt zurück ins Haus«, fordere ich ihn auf.
Er geht zurück in den Flur, die Augen ängstlich auf die Waffe gerichtet. Ich schiebe ihn weiter ins Haus und schließe hinter mir die Tür.
»Dreh dich um«, sage ich zu ihm.
»Was –?«, beginnt er zu sagen.
Ich bewege nur kurz das Handgelenk und donnere ihm den Pistolenlauf gegen den Schädel. Es ist kein harter Schlag, aber fest genug, dass er schmerzt.
»Dreh dich um«, wiederhole ich.
Er dreht sich um.
Ich lege die Waffe hinten an seinen Schädel.
»Wie heißt du?«, frage ich. »Wenn du mich anlügst, drücke ich ab.«
»Viner …«, murmelt er. »Anton Viner.«
»Ist sonst noch jemand im Haus?«
»Nein.«
Während ich die Waffe weiter an seinen Schädel halte, greife ich höher und reiße an dem Verband um seinen Kopf. Er löst sich fast von selbst. Links, ungefähr sieben Zentimeter über dem Ohr, hat er eine frisch verschorfte Wunde. Sie sieht schartig und entzündet aus. Die bräunliche Blutkruste ist umrandet von rosafarbenem neuem Fleisch … und es besteht kein Zweifel, dass die Wunde von einem Biss verursacht wurde. Ich erkenne die Abdrücke von Zähnen, die Form eines Mundes … die Form von Stacys Mund.
Einen Moment wird alles schwarz in meinem Kopf … und ich bin nichts. Ein Flecken Nichts, der in einer Leere schwimmt. Meine Beine knicken ein … ich falle, schwimme, ertrinke.
Nein.
Ich öffne die Augen, fange mich wieder.
Ich wische eine Träne aus dem Auge.
Und als ich spreche,
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