Schlafende Geister
zwingt sich auf die Knie, stöhnt, schluchzt, hält sich die Brust und ich will gerade wieder zutreten, als er die Zähne zusammenbeißt, sich streckt und endlich auf die Füße kommt.
»Leg die Tüte wieder dahin zurück, wo du sie herhast«, erkläre ich.
Er tut, was ich gesagt habe.
Ich treibe ihn mit dem Pistolenlauf am Kopf die Treppe runter.
Treibe ihn vor mir her aus dem Haus und die Straße entlang – inzwischen ist mir völlig egal, ob jemand in der Nähe ist. Als wir zu meinem Wagen kommen, reiche ich ihm meine Handschuhe, fordere ihn auf, sie anzuziehen. Er zieht sie an. Ich sage, er soll sich ans Lenkrad setzen. Er steigt ein. Ich setze mich auf den Beifahrersitz und sage ihm, er soll fahren.
»Wohin?«, fragt er.
»Lass den Motor an und fahr.«
Zwanzig Minuten später fahren wir durch die Randgebiete eines stillen Vororts namens Hey’s Weir, fünf Kilometer östlich der Stadt. Es ist eine tote Gegend mit niedrigen nichtssagenden Häusern, Industriebrachen und – irgendwie unpassend – einem Achtzehn-Loch-Golfplatz. Hinter dem Golfplatz befindet sich der gepflegte Rasen eines Krematoriums.
»Bieg da vorn ab«, sage ich zu Viner, als wir uns einem verdunkelten Pub nähern. »Hinter dem Haus ist ein Parkplatz.«
»Wieso?«, fragt er. »Was machen wir –?«
»Ich muss mal.«
Ich bezweifle, dass er mir glaubt, aber solange er auf den Parkplatz fährt, ist mir das egal. Und natürlich fährt er. Was soll er sonst tun? Er bremst, biegt auf den Parkplatz ein und hält an.
»Steig aus«, sage ich.
»Aber ich dachte –«
»Steig aus.«
Er zögert einen Moment, dann steigt er aus dem Wagen. Ich steige auch aus. Die Nacht ist dunkel, keine Sterne, kein Mond. Es ist drei Uhr früh. Ich richte die Waffe auf Viners Kopf und treibe ihn hinüber ans Ende vom Parkplatz.
»Stehen bleiben«, sage ich.
Er bleibt stehen.
Ich schaue umher in die Leere der Nacht – kein Verkehr, keine Menschen, kein Garnichts. Es gibt hier nichts, nur mich und den Mann, der meine Frau und mein Baby ermordet hat. Und wir beide sind weniger als nichts.
Ich halte Viner die Waffe an den Kopf und drücke ab.
»Wieso?«, fragte Bishop.
»Was …?«
»Wieso ist das unmöglich?«
Ich sah ihn an. »Anton Viner …? Sie sagen, Anton Viner hat Anna Gerrish umgebracht?«
»Nein«, widerspricht Bishop. »Ich sage, dass Anton Viners Haare unter ihren Fingernägeln gefunden wurden. Wieso finden Sie das so schwer zu glauben?«
»Weil …«, fange ich den Satz an und versuche das Chaos in meinem Kopf zu klären. »Weil … also, ich weiß nicht, es ist einfach …«
»Er ist ein Mörder, John. Ein Vergewaltiger. Er wird nicht aufhören . Solche Leute hören nie auf.«
»Ich weiß … aber warum sollte er hierher zurückkommen?«
»Wer sagt, dass er je weg war? Nur weil wir ihn nie gefunden haben, muss er nicht unbedingt weg gewesen sein … Und selbst wenn er Hey tatsächlich verlassen hat nach der Ermordung Ihrer Frau … nun ja, das war vor siebzehn Jahren. Was soll ihn heute hindern zurückzukommen? Hier ist sein Zuhause, John. Hier ist sein Terrain. Er kennt Hey. Er fühlt sich wahrscheinlich sicher hier. Sicher genug, um wieder mit dem Töten anzufangen.«
Ich sah Bishop an. »Sind Sie sicher , dass es Viners DNA ist?«
»Absolut.«
Ich sah ihn noch eine Weile an und versuchte in seinen Augen zu lesen … Dann erhob ich mich aus dem Sofa, verschwand ins Schlafzimmer und fing an, am Bett herumzufummeln. Ich brauchte Zeit, um nachzudenken, zu verstehen … ich musste einfach irgendwas tun. Bishop folgte mir bis zu der Doppeltür, blieb dort stehen, lehnte sich gegen den Türholm und beobachtete, wie ich die Daunendecke hochhob, ausbreitete und über das Bett warf.
»Für 14 Uhr ist eine Pressekonferenz geplant, die auch im Fernsehen übertragen wird«, sagte er. »Wir werden Viner als Hauptverdächtigen im Mordfall Anna Gerrish benennen und sicher wird das Auswirkungen haben. Das ist der eigentliche Grund, warum ich hier bin.«
»Auswirkungen?«, fragte ich, während ich die Decke noch einmal aufschüttelte und versuchte, die stickige Wolke von Körpergeruch und abgestandenem Schweiß zu vertreiben.
Er nickte. »Die mögliche Verbindung zwischen dem Mord an Anna Gerrish und dem an Ihrer Frau lässt sich nicht verschweigen, denn die Medien werden sie sowieso herstellen. Zwei Morde und derselbe Verdächtige, das reicht denen, um Viner zum Serienmörder zu stempeln. Selbst wenn wir versuchen, es
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