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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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runterzuspielen, verhindern können wir es nicht. Und ich fürchte, das heißt, man wird sich wieder für den Mord an Ihrer Frau interessieren und all die alten Geschichten aufwärmen, denn in den Augen der Medien ist sie jetzt nicht mehr bloß irgendein Mordopfer, sondern das Opfer eines Serienmörders. Und das allein wäre schon Grund genug für die Medien, um sich an Ihre Fersen zu heften, John. Aber unglücklicherweise … na ja, wir werden auch nicht die Tatsache verschweigen können, dass Sie es waren, der Annas Leiche gefunden hat, und wenn die Medien das erst erfahren …«
    »Scheiße«, murmelte ich.
    Bishop nickte wieder. »Jetzt verstehen Sie, wieso ich Sie warnen wollte.«
    Ich sah ihn an. »Können Sie die Pressekonferenz nicht absagen? Ich meine, wozu überhaupt das Ganze?«
    Er schüttelte den Kopf. »Das liegt nicht mehr in meiner Macht, John.«
    »Ich dachte, Sie wären der zuständige Chefermittler in dem Fall.«
    »Ich bin verantwortlich für die operative Seite der Ermittlung, ja. Aber inzwischen ist es mehr als eine einfache Morduntersuchung, und das bedeutet, es sind eine Menge andere Leute involviert. PR-Leute, Teamkoordinatoren, Medienstrategen … es ist einfach nicht mehr möglich für mich, alles zu kontrollieren.«
    »Aber die eigentliche Untersuchung leiten Sie noch?«
    »Ja.«
    Ich starrte ihn an. »Und wie läuft die?«
    Er starrte zurück. »Ziemlich gut.«
    »Irgendeine Vorstellung, wo Viner sein könnte?«
    »Wir arbeiten dran.«
    »Irgendwelche Hinweise, Zeugen …?«
    Bishop antwortete nicht, sondern starrte mich nur weiter an – die Augen vollkommen unbewegt.
    »Was ist mit den Aufzeichnungen der Überwachungskameras von der Nacht, als Anna verschwand?«, fragte ich. »Haben Sie da Erfolg gehabt?«
    Er blinzelte ein Mal. »Wir arbeiten dran.«

19
    Im Sommer 1991 arbeitete ich für ein paar Monate als Handlanger am Krematorium in Hey’s Weir. Die meiste Zeit verbrachte ich mit Rasenmähen oder dem Verbrennen alter Kränze oder ich grub Blumenbeete um … im Grunde genommen tat ich alles, was man mir sagte. Es machte mir nichts aus. Es war eine angenehme, gedankenlose Beschäftigung, die mich zwar körperlich anstrengte, aber nicht geistig, und außerdem arbeitete ich die meiste Zeit für mich allein. Und abgesehen davon war mir – wie ich zu Bridget gesagt hatte – egal, was ich tat, solange ich wusste, dass ich am Ende des Tages mit Stacy zusammen sein würde.
    Gelegentlich, wenn es im Krematorium mehr zu tun gab als üblich, wurde ich gebeten, im Verbrennungsraum auszuhelfen. Mit den eigentlichen Verbrennungsabläufen hatte ich nichts zu tun – meistens schob ich nur Särge herum oder siebte die Asche –, aber während der Arbeit dort lernte ich einen Mann kennen, den alle Dougie the Burner nannten. Dougie war ein faszinierender Mensch: Ende zwanzig, Anfang dreißig, mit einer widerborstigen schwarzen Strubbelmähne, funkelnden dunklen Augen, schmuddeliger Haut und einem schiefen Grinsen. Er hatte einen leichten Buckel und humpelte beim Gehen. Und er trug immer den gleichen schäbigen blauen Overall. Er rauchte Pfeifentabak in selbst gedrehten Zigaretten und mittags aß er eine ganze Zwiebel – roh.
    Obwohl es manches an ihm gab, was mich ein bisschen verunsicherte – etwa, dass er aussah wie der Serienmörder Frank West, nur eben mit Buckel –, mochte ich auch vieles an Dougie. Zum Beispiel seine Art, nie wütend zu werden, sich niemals Sorgen zu machen, nie etwas ernst zu nehmen. Er humpelte durchs Leben und tat alles, was auf ihn zukam, mit sorgloser Freude – Leichen verbrennen, Asche sieben, Zwiebeln essen … er war völlig zufrieden mit seinem Schicksal.
    In jenem Jahr fiel mir an einem warmen Freitagabend, gerade als die Sonne unterzugehen begann, plötzlich ein, dass ich vor Stunden meine Jacke im Krematorium vergessen hatte. In der Jacke steckte meine Brieftasche und Stacy und ich wollten am nächsten Morgen früh losfahren, um das Wochenende in Wales zu verbringen. Und aus irgendeinem Grund, an den ich mich nicht mehr erinnere, entschloss ich mich, die Jacke nicht am Morgen zu holen, sondern noch am Abend beim Krematorium vorbeizufahren.
    Deshalb schnappte ich mir die Schlüssel von der Arbeit, stieg in mein Auto und fuhr hinaus. Es muss gegen zehn gewesen sein, als ich ankam, und zunächst wirkte der ganze Ort so still und verlassen, wie ich es erwartet hatte. Doch als ich aus dem Auto stieg und über den Parkplatz auf die Seitentür des

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