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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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bedeutete, dass sie entweder mit Walter unterwegs war oder aber nur so tat, als wäre sie fort. Weder im einen noch im anderen Fall lohnte es sich, nach oben zu gehen.
    Ich kehrte wieder zurück in meine Wohnung, zog Schuhe und Mantel an, dann ging ich hinten hinaus in den Garten. Die Nacht war kalt, die Luft feucht und düster unter dem sternenlosen schwarzen Himmel, und als ich den Weg entlang zur hinteren Gartenmauer lief, merkte ich, dass es ziemlich heftig geregnet haben musste, während ich schlief. In der Dunkelheit tropfte es aus den Büschen, der Weg war übersät von den Rückständen eines schweren Wolkenbruchs – ausgewaschene Erde, Schnecken, Würmer, kleine Holzstückchen – und der aufgeweichte Boden war voll von winzigen nassen Wesen, die klickten und ploppten.
    Am Ende des Wegs stieg ich auf einen alten Blecheimer, zog mich hoch auf die Mauer und ließ mich von dort in den Garten meines Nachbarn fallen. Über die Jahre war auf dem mit Steinplatten gepflasterten Grundstück etwas entstanden, das an einen Slum erinnerte: ein Wirrwarr baufälliger Gartenschuppen und Gewächshäuser, die aus alten Türen und riesigen Wellplastikflächen zusammengeschustert waren. Die Schuppen waren mit Kisten, rostigem Werkzeug und ausrangiertem, aus Containern gerettetem Bauholz vollgestopft, in den Gewächshäusern stapelten sich turmhoch leere Pflanzkästen und Blumentöpfe.
    Niemand war in der Nähe. Es war Eastenders -Zeit – oder vielleicht lief auch Coronation Street oder Emmerdale – und der taube alte Mann, der hier lebte, hockte genau wie alle vor dem Fernseher, vertieft in eine Welt aus unaufrichtiger Liebe und täglichen Katastrophen …
    Ich lief an der Rückseite des Hauses entlang zu einem mit Mülleimern vollgestellten Durchgang, der mich auf die Parallelstraße zu meiner führte. Sie sah fast genauso aus – die gleichen Reihenhäuser, die gleichen Vorgärten, die gleichen gebrochenen Gehwegplatten mit zu vielen geparkten Autos am Bordstein … das Einzige, was fehlte, war eine Handvoll Reporter und ein Fernsehteam.
    Ich zündete eine Zigarette an und machte mich auf den Weg zum nächsten Taxistand.
     
    Leon Mercer lebte zusammen mit seiner Frau Claudia in einem grau gemauerten dreistöckigen Haus in einer abgeschiedenen Straße am Rand der Stadt. Es war eine schöne Gegend mit gepflegten Gärten und breiten, lindenbestandenen Gehwegen, und als ich aus dem Taxi stieg und die mit Steinen gepflasterte Auffahrt zu Leons Haus hochging, erinnerte ich mich an das erste Mal, als ich hier gewesen war. Imogen und ich waren seit ungefähr einem Monat zusammen. Ich war damals siebzehn und total beklommen vor meinem ersten Besuch bei ihr zu Hause. Ich hatte Angst, dass ich etwas falsch machen oder das Falsche sagen könnte oder dass mich ihre Eltern vielleicht nicht mögen würden. Und ich weiß noch, wie eingeschüchtert ich mich von der Größe und Pracht des Hauses fühlte. Ich wusste damals nicht viel über Leon Mercer, nur dass er Polizeibeamter war wie mein Vater, und ich hatte auch im Kopf, dass sie den gleichen Dienstrang besaßen, deshalb verstand ich nicht, wieso wir in einer bescheidenen Doppelhaushälfte in einer absoluten Durchschnittsstraße lebten und Mercer ein frei stehendes dreistöckiges Haus in einem der reichsten Viertel der Stadt hatte. Später fand ich heraus, dass das Haus eigentlich Claudia Mercer gehörte – es war ein Geschenk ihres Vaters gewesen, der einen Haufen Geld mit einer Kette von Sportläden gemacht hatte.
    Inzwischen hatte ich die Haustür erreicht – ein wuchtiges Eichenteil in der Tiefe eines gewölbten steinernen Vorbaus. Ich klingelte und wartete. Ein kalter Regen hatte eingesetzt und in dem hellen weißen Licht der Sicherheitslampen, die von den Häusern entlang der Allee herüberstrahlten, beobachtete ich, wie ein Wirbel vergilbter Blätter im Wind tanzte. In der Luft lag ein Hauch von Feuerwerksrauch, und wie ich so dastand an diesem Herbstabend, kehrten die fernen Erinnerungen an die Feuerwerksnächte meiner Kindheit zurück. Der schwarze Horizont, von Raketenlichtern und aufplatzenden Sternenschauern überzogen … Knallfrösche, römische Kerzen, Feuerräder … ein tosendes Feuerwerk, das knallt und schießt und knistert, mit glühenden roten Funken, die in die Nacht steigen …
    »John!«, sagte eine überraschte Stimme und brachte mich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Ich drehte mich um und sah Imogen in der Tür stehen.
    »Hi, Immy«, sagte ich.
    Sie

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