Schlafende Geister
rechten Zeigefinger des Mannes entdeckte, wusste ich, dass ich den Schädel vor Augen hatte.
»Das Gesicht sagt mir gar nichts«, erklärte ich Leon. »Aber ich bin trotzdem ziemlich sicher, dass er es war. Wer ist das?«
»Sein Name ist Les Gillard, er arbeitet seit Jahren für Bishop.« Leon nickte Richtung Bildschirm. »Als das da passiert ist, war er ein einfacher Polizist und erst seit ein paar Jahren dabei.«
»Und jetzt?«
»Schwer zu sagen. Er ist ziemlich schnell aufgestiegen und in den letzten zehn Jahren oder so hat er sich einen Namen bei verschiedenen Spezialeinheiten gemacht – SO12, SO13, 15 … du weißt schon, Einheiten, die gern unter sich bleiben. Aber egal was Gillard jetzt ist, ich weiß, dass Bishop ihn irgendwie immer noch in der Hand hat.« Leon klappte den Laptop zu und sah mich an. »So läuft das bei Bishop. Er sucht sich etwas, das er gegen dich verwenden kann … und sobald er es hat, gehörst du ein Leben lang ihm, ob es dir gefällt oder nicht. Du würdest staunen, wie viele Leute er in der Hand hat – Polizeibeamte, Verbrecher, Politiker, Geschäftsleute … er ist ein sehr mächtiger und sehr gefährlicher Mann.«
Ich nickte. »Und glaubst du, es ist möglich …« Ich unterbrach mich, als Leon plötzlich die Augen schloss, die Zähne zusammenbiss und aufstöhnte. »Was ist los?«, fragte ich und sprang schnell auf, als er sich krümmte und den Unterleib hielt. »Leon? Leon! « Während ich um den Schreibtisch herumkam, richtete er sich unter Schmerzen wieder auf und öffnete die Augen.
»Schon gut«, sagte er schwer atmend. »Ehrlich, alles in Ordnung …«
»So siehst du aber nicht aus.«
»Es war nur …« Er sah mich an. »Bitte, John … setz dich wieder hin. Alles in Ordnung, ehrlich. Es passiert manchmal, das ist alles …« Während er nach dem Kognakglas griff und einen Schluck trank, ging ich zurück um den Schreibtisch. Er sah zu mir hoch. »Setzt du dich bitte wieder, John?«
Ich setzte mich.
»Danke«, sagte er.
»Vielleicht sollte ich lieber gehen«, schlug ich vor.
»Gleich … es gibt noch ein paar Dinge, die ich vorher mit dir besprechen will.«
»Ich kann ja wiederkommen.«
»Dieser Name, den du über das Kennzeichen des Nissans rausgefunden hast … Kemper, nicht wahr?«
»Charles Raymond Kemper.«
»Bist du damit weitergekommen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich treffe Cal morgen wieder, aber bis jetzt hat er noch nichts rausgekriegt.«
»Okay … und du hast auch nichts in Erfahrung gebracht, was Bishop mit dem Nissan oder mit Anna Gerrish in Verbindung bringt?«
»Nein.«
Er sah mich an und seine Gedanken schienen sich für einen Moment zu verlieren. Dann schärfte sich sein Blick wieder und er sagte: »Brauchst du Hilfe bei der Anklage wegen Trunkenheit am Steuer?«
Ich lächelte. »Mein Anwalt hat die Sache letzte Woche abgeschmettert. Wegen Verfahrensfehlern.«
»Gut.«
»Du bist müde, Leon«, sagte ich und stand wieder auf. »Du musst dich ausruhen.«
Er nickte. »Ich weiß, ich weiß … doch bevor du gehst, John …«
»Was?«
»Überlass Bishop fürs Erste mir, ja? Ich habe immer noch eine Menge gute Kontakte bei der Polizei. Ich hör mich mal um, schaue, was ich rausfinden kann, und melde mich so schnell wie möglich bei dir. Aber in der Zwischenzeit … bring ihn nicht noch mehr gegen dich auf.«
»Okay.«
Er lächelte mich an. Es war ein trauriges, müdes Lächeln, das ihn eine Menge Kraft kostete. »Und hör zu«, murmelte er. »Hör zu …«
Seine Augen schlossen sich, noch während er mit mir sprach.
Ich drehte mich leise um und ging. Doch gerade, als ich die Tür erreichte, hörte ich ihn wieder sprechen.
»Siehst du das Bild, John?«, fragte er.
Ich drehte mich um und sah ihn zu einem gerahmten Foto an der Wand hochschauen. Es war ein Bild von Leon und meinem Vater, aufgenommen kurz bevor Dad starb. Sie waren irgendwo zusammen auf einem Grillfest – die Gesichter rot vom Widerschein des Abendlichts, mit Gläsern in den Händen, und beide lachten breit in die Kamera.
»Wann immer du Fragen hast, John«, sagte Leon, »und ich nicht da bin, um sie dir zu beantworten … denk einfach an dieses Foto.«
Ich sah ihn an. »Wie meinst du das?«
Er lächelte. »Du bist doch Detektiv … du wirst es schon rausfinden, wenn es so weit ist.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das versteh ich nicht.«
»Weißt du, John«, sagte er vage. »Es gibt etwas, das ich dich schon lange fragen wollte … etwas, worüber
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