Schlafender Tiger. Großdruck.
ihm direkt schreiben. Und wenn Sie das tun, erinnern Sie ihn daran, daß ich immer noch auf das Expose seines zweiten Buches warte. Ich habe ihm bereits ein Dutzend Briefe geschrieben, doch er scheint eine tiefe Abneigung dagegen zu haben, sie zu beantworten.“
Selina lächelte, und der Verleger war überrascht, wie verändert sie dadurch wirkte. „Oh, haben Sie vielen Dank“, sagte sie. „Ich bin Ihnen sehr dankbar.“
„Keine Ursache“, erwiderte Mr. Rutland.
Die leere Wohnung war nicht gerade der geeignetste Ort für ein Gespräch von solcher Wichtigkeit, doch es ging nicht anders.
Selina unterbrach Rodneys Betrachtungen über die Vorzüge schlichtgemusterter Teppiche mit den Worten: „Rodney, ich muß mit dir reden.“
Leicht verärgert blickte er auf sie hinunter. Schon während des Mittagessens und der darauffolgenden Taxifahrt hatte er den Eindruck gehabt, sie sei irgendwie anders als sonst. Sie hatte kaum etwas gegessen, zerstreut und geistesabwesend gewirkt. Außerdem trug sie eine Bluse, die nicht zu ihrem rehbraunen Mantel und Rock paßte, und in ihrem rechten Strumpf hatte Rodney eine Laufmasche entdeckt. Selinas Äußeres war normalerweise so gepflegt und makellos wie das einer Siamkatze, und diese kleinen Unregelmäßigkeiten beunruhigten ihn.
„Stimmt irgend etwas nicht?“ fragte er.
Selina versuchte ihm in die Augen zu sehen, tief Luft zu holen und ganz ruhig zu bleiben, doch ihr Herz klopfte wie ein Vorschlaghammer, und ihr Magen fühlte sich an, als wäre sie gerade in einem viel zu schnellen Fahrstuhl nach oben gefahren. „Nein, es ist alles in Ordnung, ich wollte einfach mit dir reden.“
Er runzelte die Stirn. „Hat das nicht bis heute abend Zeit? Dies ist die einzige Möglichkeit, die Fußböden auszumessen...“
„Oh, Rodney, bitte hilf mir und hör zu.“
Er zögerte, ließ dann mit einem resignierten Gesichtsausdruck das Buch mit den Teppichmustern sinken, rollte das Maßband zusammen und steckte es in die Tasche. „Nun? Ich bin ganz Ohr.“
Selina fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Die leere Wohnung machte sie nervös. Ihre Stimmen hallten, und es gab weder Möbel noch Nippes, die man verrücken, kein Kissen, das man glattstreichen konnte. Sie fühlte sich, als hätte man sie ohne Kulissen und Stichworte auf eine große, leere Bühne gestellt und sie hätte ihren Text vergessen.
Schließlich holte sie tief Luft und sagte: „Es geht um meinen Vater.“
Rodneys Gesichtsausdruck veränderte sich kaum. Er war ein guter Anwalt, und er spielte gern Poker. Außerdem war er über Gerry Dawson genauestens informiert, denn Mrs. Bruce und Mr. Arthurstone hatten es schon vor langer Zeit für richtig gehalten, ihn einzuweihen. Ihm war bekannt, daß Selina nichts über ihren Vater wußte. Und er würde ganz bestimmt nicht derjenige sein, der daran etwas änderte.
„Was ist mit deinem Vater?“ fragte er freundlich.
„Nun... Ich glaube, erlebt.“ Rodney lachte ungläubig. „Selina...“
„Nein, sag es nicht. Sag nicht, daß er tot ist. Hör einfach einen Moment zu. Du kennst das Buch, das du mir gestern gegeben hast? Fiesta in Cala Fuerte. Und du hast das Foto des Autors, George Dyer, auf der Rückseite gesehen?“ Rodney nickte.
„Nun, die Sache ist die... Er sieht genauso aus wie mein Vater.“
Rodney brauchte ein paar Sekunden, um diesen Satz zu verdauen. Dann fragte er: „Und woher weißt du, wie dein Vater ausgesehen hat?“
„Ich weiß es, weil ich vor Jahren ein Foto von ihm in einem Buch gefunden habe. Und ich glaube, es ist dieselbe Person.“
„Du meinst, George Dyer ist...“ Er hielt gerade noch rechtzeitig inne.
„Gerry Dawson“, beendete Selina mit einem triumphierenden Lächeln den
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