Schlafender Tiger. Großdruck.
Schreibtisch, wo er auf die Tasten seiner Schreibmaschine einhämmerte, als hinge sein Leben davon ab.
Das war nicht gerade die Reaktion, die Selina sich erhofft hatte. Sie wartete einen Augenblick, ob er es sich nicht noch anders überlegte, doch nichts passierte, und so schluckte sie den Kloß in ihrem Hals herunter, versuchte, das lächerliche Brennen in ihren Augen zu ignorieren, und ging in die Küche. Dort öffnete sie den Brotkasten und legte ein Brot nach dem anderen auf den Tresen, bis sie schließlich zu dem Blatt Papier kam, unter dem sie ihren Paß versteckt hatte.
Er war nicht da. Tränen, Enttäuschung, alles wurde von einer Welle der Panik weggespült. Ihr Paß war wirklich weg.
„George!“ Er tippte so laut, daß er sie nicht hörte. „George, ich... ich habe meinen Paß verloren.“
Er hörte auf zu schreiben und hob die Augenbrauen. „Schon wieder?“ fragte er interessiert.
„Er ist nicht da! Ich hab ihn hier hineingetan, und er ist nicht da! Ich habe ihn verloren!“
George schüttelte fassungslos den Kopf. „Gütiger Himmel!“
„Wie kann das nur passiert sein?“ jammerte sie. „Ob Juanita ihn gefunden hat? Vielleicht hat sie den Brotkasten saubergemacht und den Paß verbrannt. Oder weggeworfen! Vielleicht hat ihn jemand gestohlen. Oh, was wird jetzt mit mir geschehen?“
„Ich wage es mir gar nicht vorzustellen...“
„Hätte ich ihn bloß nie da versteckt!“
„Sie sind in Ihre eigene Falle gelaufen“, sagte George scheinheilig und wandte sich wieder seiner Schreibmaschine zu.
Selina runzelte fragend die Stirn. Irgendwie verhielt er sich merkwürdig ruhig. Und dann war da ein Funkeln in seinen dunklen Augen, das sie mißtrauisch machte. Hatte er ihren Paß etwa gefunden? Hatte er ihn gefunden und versteckt und ihr nichts davon gesagt? Sie verließ die Küche und ging suchend durch das Zimmer.
Schließlich blieb sie hinter George stehen. Er trug seine abgetragenen, salzverkrusteten Jeans, und die rechte Gesäßtasche sah auffallend rechteckig aus, als enthielte sie ein kleines Buch oder eine große Karte... Er tippte immer noch mit aller Kraft, aber als Selina ihre Hand ausstreckte, um seine Hosentasche zu untersuchen, griff er hinter sich und gab ihr einen leichten Klaps.
Die Panik war vergessen. Sie lachte vor Erleichterung, vor Glück, vor Liebe, und schlang die Arme um seinen Hals. „Du hast ihn! Du hast ihn gefunden! Du hattest ihn schon die ganze Zeit, du Scheusal!“
„Möchtest du ihn wiederhaben?“
„Nur wenn du willst, daß ich mit Rodney nach London fliege.“
„Das will ich nicht.“
Sie küßte ihn und rieb ihre weiche Wange an seiner rauhen, kratzigen, die nicht weich war und nach Rasierwasser duftete, sondern wettergegerbt, braungebrannt und durchzogen von feinen Linien, so lebendig und vertraut wie eines seiner rauhen Arbeitshemden. „Ich möchte auch nicht mehr fort“, sagte sie. Er hatte eine ganze Seite vollgeschrieben. Selina legte ihr Kinn auf seinen Kopf und fragte: „Was schreibst du da?“
„Ein kurzes Expose.“
„Von dem neuen Buch? Wovon handelt es?“
„Von der Kreuzfahrt in der Ägäis.“
„Wie wird es heißen?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber ich werde es dir widmen.“
„Wird es gut werden?“
„Ich hoffe es. Aber offengesagt habe ich bereits eine Idee für ein drittes Buch. Einen Roman...“ Er nahm ihre Hand und zog Selina zu sich heran. Sie setzte sich auf die Ecke seines Schreibtischs und sah ihn gespannt an. „Ich dachte, es könnte von einem Kerl handeln, der an irgendeinem stillen Ort lebt, keiner Seele etwas zuleide tut und sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert. Und da kommt plötzlich dieses Mädchen. Sie ist von ihm besessen. Läßt ihn einfach nicht in Ruhe. Entfremdet
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