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Schlafender Tiger. Großdruck.

Schlafender Tiger. Großdruck.

Titel: Schlafender Tiger. Großdruck. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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nahm ih­re Hand und sag­te ver­söhn­lich: „Ach, was soll die gan­ze Auf­re­gung? Hab Ge­duld. Ich weiß, es muß auf­re­gend für dich sein, dir plötz­lich ei­ne Be­geg­nung mit dei­nem Va­ter aus­zu­ma­len. Mir ist auch be­wußt, daß es im­mer ei­ne ge­wis­se Lee­re in dei­nem Le­ben gab. Ich hat­te al­ler­dings ge­hofft, es wür­de mir ge­lin­gen, die­se Lee­re zu fül­len.“
    Er klang so no­bel. „Das ist es nicht, Rod­ney...“ er­wi­der­te Se­li­na.
    „Aber, siehst du, wir wis­sen nicht das ge­rings­te über Ge­or­ge Dyer. Soll­ten wir nicht erst ein­mal ein paar Nach­for­schun­gen an­stel­len, be­vor wir ir­gend­wel­che Schrit­te un­ter­neh­men, die wir viel­leicht hin­ter­her be­reu­en?“
    „Ich wur­de ge­bo­ren, nach­dem er als ver­mißt ge­mel­det wur­de. Er weiß nicht ein­mal, daß ich exis­tie­re.“
    „Ge­nau!“ Rod­ney wag­te einen et­was ener­gi­sche­ren Ton. „Du kennst doch das al­te und sehr wah­re Sprich­wort: Schla­fen­de Hun­de soll man nicht we­cken.“
    „Ich den­ke nicht an ihn als einen schla­fen­den Hund. Ich den­ke nur dar­an, daß er viel­leicht noch lebt und daß er der ein­zi­ge Mensch ist, nach dem ich mich je­mals ge­sehnt ha­be, mehr als nach ir­gend je­man­dem sonst in mei­nem gan­zen Le­ben.“
    Rod­ney wuß­te nicht, ob er be­lei­digt oder ein­fach nur bö­se sein soll­te. „Du re­dest wie ein klei­nes Kind.“
    „Es ist wie mit ei­ner Mün­ze. Die hat zwei Sei­ten, Kopf und Zahl. Ich ha­be auch zwei Sei­ten. Ei­ne Bru­ce-Sei­te und ei­ne Daw­son-Sei­te. Se­li­na Daw­son. Das ist mein wirk­li­cher Na­me. Das bin ich wirk­lich.“ Sie lä­chel­te Rod­ney an, und er dach­te be­un­ru­higt, daß er die­ses Lä­cheln noch nie an ihr ge­se­hen hat­te. „Liebst du Se­li­na Daw­son so, wie du Se­li­na Bru­ce liebst?“ frag­te sie. Er hielt im­mer noch das Fo­to ih­res Va­ters fest. Sie nahm es ihm aus der Hand, um es wie­der in ih­re Ta­sche zu ste­cken.
    „Ja, na­tür­lich“, 1er­wi­der­te Rod­ney ei­ne Zehn­tel­se­kun­de zu spät.
    Se­li­na schloß ih­re Hand­ta­sche und leg­te sie auf einen Stuhl. „Al­so dann“, sag­te sie und strich ih­ren Rock glatt, als woll­te sie ein Ge­dicht auf­sa­gen, „soll­ten wir nicht lang­sam mit dem Aus­mes­sen des Fuß­bo­dens be­gin­nen?“

3
     
     
     
     
     

    A uf dem Flug­ha­fen von Bar­ce­lo­na glänz­ten im ers­ten blas­sen Licht der Mor­gen­däm­me­rung tie­fe Pfüt­zen - Spu­ren des Un­wet­ters, das die Ma­schi­ne über den Py­re­nä­en kräf­tig ge­beu­telt hat­te. Ein leich­ter Wind blies von den Ber­gen her­ab, die Flug­ha­fen­be­am­ten ro­chen nach Knob­lauch, und auf den Bän­ken und Ses­seln in der Hal­le schlie­fen blas­se, in Män­tel oder De­cken gehüll­te Men­schen, über­näch­tigt von lan­gen Stun­den des War­tens. Es war ei­ne schlim­me Nacht ge­we­sen. Die Flü­ge von Rom und Pal­ma wa­ren ge­stri­chen wor­den, und die Flü­ge aus Ma­drid hat­ten Ver­spä­tung.
    Se­li­na, der von dem Flug im­mer noch et­was übel war, be­trat die Hal­le durch die ver­glas­te Schwing­tür und frag­te sich, was sie als nächs­tes tun soll­te. Sie hat­te zwar ein Ticket bis San An­to­nio ge­löst, muß­te sich aber noch ei­ne Bord­kar­te be­sor­gen. An ei­nem Schal­ter wog ein mü­de aus­se­hen­der Be­am­ter Ge­päck­stücke. Als sie zu ihm trat, blick­te er auf.
    „Spre­chen Sie Eng­lisch?“ frag­te sie ihn.
    „ Si. “
    „Ich ha­be ein Ticket nach San An­to­nio.“
    Mit aus­drucks­lo­ser Mie­ne streck­te er die Hand aus, riß das ent­spre­chen­de Blatt ab, stell­te ihr ei­ne Bord­kar­te aus und gab ihr das Ticket zu­rück.
    „Vie­len Dank. Wann star­tet das Flug­zeug?“
    „Halb acht.“
    „Und mein Ge­päck?“
    „Ist durch­ge­bucht bis San An­to­nio.“
    „Und der Zoll?“
    „Ist in San An­to­nio.“
    „Ver­ste­he. Ha­ben Sie vie­len Dank.“ Doch ih­re Be­mü­hun­gen, ein Lä­cheln auf sein Ge­sicht zu zau­bern, blie­ben er­folg­los. Der Mann hat­te of­fen­bar ei­ne har­te Nacht hin­ter sich und war nicht in der Stim­mung für Freund­lich­kei­ten.
    Sie wand­te sich um und setz­te sich auf ei­ne Bank. Ihr tat al­les weh vor Er­schöp­fung, doch sie war zu

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