Schlafender Tiger. Großdruck.
abzuladen.
„Das muß das Haus sein“, sagte Selina.
Es sah nicht allzugroß aus. Die Rückseite war weiß getüncht und hatte nur einen winzigen Fensterschlitz und eine mit Fensterläden versehene Tür, die im Schatten einer großen Pinie lag. Hinter dem Haus gabelte sich die Straße und lief an den Rückseiten weiterer links und rechts stehender Häuser entlang. Hier und da führten schmale Stufen zwischen den Gebäuden hinunter ans Meer. Alles sah angenehm zwanglos aus, Wäsche flatterte im Wind, Fischernetze hingen zum Trocknen draußen, und ein oder zwei magere Katzen saßen in der Sonne und putzten sich.
Tonis Taxi rumpelte und rutschte die letzten Meter. Toni jammerte, es gebe hier keine Möglichkeit zum Wenden, sein Taxi sei ohnehin nicht für so schlechte Straßen geeignet, und er werde Schadenersatz fordern, falls sein Lack Kratzer abbekomme.
Selina hörte ihm kaum zu. Tomeu hatte die grünen Fensterläden geöffnet und war mit den schweren Körben im Innern des Hauses verschwunden. Als das Taxi mit einem Ruck zum Stehen kam, sprang Selina aus dem Wagen.
„Ich werde wenden, und dann komm ich zurück und hol mir das Geld“, sagte Toni.
„Ja“, erwiderte Selina geistesabwesend, „tun Sie das.“
Er beschleunigte so schnell, daß sie zurücksprang, damit er ihr nicht über die Füße fuhr, doch kaum war er weg, überquerte sie die Straße und betrat im Schatten der Pinie zögernd die Casa Barco.
Sie hatte gedacht, das Haus wäre klein, und fand sich statt dessen in einem großen Raum mit einer hohen Decke wieder. Die Fensterläden waren geschlossen, es war dunkel und kühl. Es gab keine Küche, sondern einen schmalen Tresen, der die Kochnische wie eine Bar vom Wohnraum abtrennte. Dahinter fand Selina Tomeu, der auf den Knien hockte und die Vorräte in den Kühlschrank füllte.
Er sah auf und lächelte, als sie sich über den Tresen lehnte.
„ Señor Dyer?“ fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. „No aqui.“
No aqui. Nicht da. Sie wurde ganz mutlos. Er war noch nicht aus San Antonio zurück, und sie würde Toni mit irgendwelchen Ausreden abspeisen und ihn bitten müssen, Geduld zu haben. Dabei hatte keiner von ihnen auch nur die geringste Ahnung, wie lange es dauern würde, bis ihr Vater zurückkam.
Tomeu sagte etwas. Selina starrte ihn verständnislos an. Um ihr zu zeigen, was er meinte, ging er hinüber zur gegenüberliegenden Wand und begann die Fensterläden zu öffnen. Ein Schwall von Licht und Sonne ergoß sich ins Innere und tauchte alles in leuchtende Farben. Die Südwand, von der aus man auf den Hafen blickte, bestand fast nur aus Fenstern und einer Doppeltür, die auf eine Terrasse führte. Hier spendete ein Dach aus Schilfrohr Schatten, in ein paar angeschlagenen Tonkrügen und Töpfen blühten Geranien, und hinter einer niedrigen Mauer schimmerte blau das Meer.
Das Haus selbst war ungewöhnlich aufgeteilt. Es gab keine Innenwände, sondern die Decke der Kochnische formte eine kleine Empore mit einem Holzgeländer, die man über eine offene Treppe erreichte. Unter der Leiter führte eine Tür in ein winziges Badezimmer. Ein Loch weit oben in der Wand spendete Licht und frische Luft, außerdem gab es dort ein Waschbecken, eine primitiv aussehende Dusche, ein Regal mit Flaschen und Zahnpasta, einen Spiegel und einen runden Wäschekorb.
Der Rest des Hauses wurde von einem hohen Wohnzimmer eingenommen, weiß gekalkt, mit einem Steinfußboden, auf dem helle Teppiche lagen. In einer Ecke des Raumes stand ein breiter dreieckiger Kamin mit duftenden Holzresten, die aussahen, als bräuchten sie nur einen winzigen Lufthauch, um wieder aufzuflammen. Die Kaminsohle war ungefähr fünfzig Zentimeter hoch,
Weitere Kostenlose Bücher