Schlafender Tiger. Großdruck.
beiden Männer drehten sich um, erkannten Tomeu und lächelten. „Hombre, Tomeu!“
Er gab ihnen irgendeine freche Antwort. Sie lachten und machten sich wieder an die Arbeit.
Die Steinmauer unter Selinas Händen fühlte sich warm an. Etwas von dem Kalkanstrich hatte auf ihr Kostüm abgefärbt wie Kreide von einer Schultafel. Selina setzte sich mit dem Rücken zum Meer auf die Mauer und entdeckte eine Wäscheleine an zwei Haken, an der knochentrockene, zerknitterte Kleidungsstücke hingen. Ein verwaschenes blaues Arbeitshemd, eine Badehose, einige Segeltuchhosen mit Flicken an den Knien und ein Paar völlig ausgetretener Tennisschuhe, die an den Schnürsenkeln aufgehängt waren. Auch auf der Terrasse gab es einige Möbelstücke, mit denen allerdings nicht viel Staat zu machen war: einen schäbigen alten Rohrstuhl, einen Holztisch, von dem die Farbe abblätterte, und einen dieser gemeingefährlichen Liegestühle, die unter einem zusammenbrachen, sobald man sich hinsetzte.
Selina wünschte, sie spräche Spanisch und könnte sich mit dem freundlichen Tomeu unterhalten. Sie wollte ihn über Señor Dyer ausfragen. Was für ein Mann war er? Welche der Yachten gehörte ihm? Wann würde er wohl aus San Antonio zurückkommen? Während sie noch überlegte, wie sie sich am besten mit ihm verständigte, kündigte das Motorengeräusch von Tonis Taxi seine Rückkehr an. Der Wagen hielt vor der Tür, und Sekunden später betrat Toni das Haus. Er sah noch grimmiger aus als vorher, falls das überhaupt möglich war. Selina nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Señor Dyer ist noch nicht zurück“, sagte sie mit fester Stimme.
Toni reagierte auf diese Information mit eisigem Schweigen. Betont langsam holte er einen Zahnstocher aus der Hosentasche und stocherte damit im Mund herum. Er strich den Zahnstocher an seinem Hosenboden ab, steckte ihn wieder ein und fragte: „Was zum Teufel machen wir jetzt?“
„Ich werde hier warten“, erwiderte Selina. „Es kann nicht mehr lange dauern. Rodolfo sagte, er würde bald zurückkommen. Und Sie können entweder auch hier warten, oder Sie lassen mir Ihren Namen und Ihre Adresse hier und fahren wieder nach San Antonio. In beiden Fällen werde ich dafür sorgen, daß Sie Ihr Geld bekommen.“
Unbewußt hatte sie den energischen Tonfall ihrer Großmutter angeschlagen, und zu ihrer eigenen Überraschung funktionierte es. Toni fand sich mit der Situation ab. Er nickte bedächtig und gab dann seine Entscheidung bekannt. „Ich werde auch warten. Aber nicht hier. Im Hotel.“
Im Hotel gab es Cognac, und er konnte in seinem Taxi eine Siesta halten, im Schatten eines Baumes. Es war bereits halb drei, und es gefiel ihm gar nicht, um halb drei wach zu sein. „Wenn Señor Dyer da ist, können Sie kommen und es mir sagen.“
Selina hätte ihn vor Erleichterung umarmen können. „Das werde ich ganz bestimmt tun“, versicherte sie. „Es tut mir leid, daß wir so ein Pech haben, aber es wird in Ordnung kommen.“
Er zuckte seufzend mit den Schultern und ging zu seinem Wagen zurück. Sie hörte, wie er den Motor anließ und über den Hügel zum Cala Fuerte-Hotel zurückfuhr. Selina wandte sich Tomeu zu. „Ich bleibe hier.“
Er runzelte die Stirn. Usted aqui.“
„Ja. Hier.“ Sie zeigte auf den Boden. Tomeu grinste. Er hatte verstanden und sammelte seine leeren Körbe ein. „Auf Wiedersehen, Tomeu, und vielen Dank.“
" Adios, Señorita.“
Er verließ das Haus, und Selina war allein. Sie ging wieder auf die Terrasse zurück und sagte sich, daß sie auf ihren Vater wartete, doch sie konnte es immer noch nicht ganz glauben. Ob er wohl, ohne daß sie es ihm sagte, wußte, wer sie war? Und wenn nicht, wie sollte sie es ihm
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